: Labour-Chef Neil Kinnock zurückgetreten
■ Konsequenz aus Wahlniederlage/ Nach niederlagenreichen Jahren will er auf die „Hinterbank“
Berlin (taz) — „Er verläßt uns mitten in der Krise, und er macht es nur noch schlimmer“, hatten Böses ahnende Labour-Mitglieder schon seit der Wahlnacht in der vergangenen Woche über ihren Parteichef geunkt. Gestern trat der Rotschopf Neil Kinnock tatsächlich von seinem Posten zurück, den er beinahe zehn Jahre lang ohne nennenswerte Erfolge bekleidet hatte. Seine Partei hinterläßt er nicht nur mit dem Katzenjammer über das miserable Wahlergebnis von 35 Prozent, sondern er stürzt sie mit seinem hastigen Rücktritt auch in eine hektische Nachfolgersuche.
Zum vierten aufeinanderfolgenden Mal hatte sich die Labour Party nicht gegen die Konservativen durchsetzen können. Für Kinnock war es die zweite Wahlniederlage als Parteiführer. In seinen zehn Jahren an der Spitze setzte sich der walisische Bergmannssohn der Kritik von Rechten wie Linken aus, die ihn beschuldigten, die alten Ideale verraten zu haben. Tatsächlich wurde unter Kinnocks Führung die rote Fahne der Labour Party stillschweigend eingeholt. Der ehemalige Bürgerschreck, der die Königin verspottete, höhere Einkommen beschlagnahmen wollte, für den Rückzug Großbritanniens aus der Europäischen Gemeinschaft agitierte und jahrelang die Ostermärsche anführte, entwickelte sich zu einem Pragmatiker mit der Devise: „Träumt nicht von dem, was sein könnte, sondern arbeitet für das, was sein kann.“
Mit 50 Jahren steht der Berufspolitiker Kinnock jetzt auf den Trümmern seiner Karriere. In seiner Rücktrittserklärung kündigte er an, daß er Abgeordneter bleiben wolle — „Hinterbänkler“, so heißt seine neue Rolle im politischen Jargon auf der Insel.
Als Nachfolger sind zwei Männer im Gespräch: der schottische Anwalt und finanzpolitische Sprecher der Partei, John Smith, und der in Neuseeland geborene jetzige Labour- Umweltsprecher Bryan Gould. Die Gewerkschaften, die schon 1983 mit Kinnock ihren Kandidaten an die Spitze der Labour Party manövrierten, scheinen auch diesmal wieder heftig mitzumischen. Ihr Favorit ist Smith. Parteimitglieder beklagen sich bereits darüber, daß Kinnock eine „Thatcher-mäßige“ Machtübergabe an Smith im Sinn habe. dora
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