VILLAGE VOICE: Bikerjacke meets Folklorebluse
■ Neue Platten von Peacock Palace, Poems For Laila und Müllerbeat
Déjà vu. Keine Berliner Band hat mich bislang so sehr an Nena erinnert wie Peacock Palace. Dabei singt Petra Jansen, nach landläufigen Gesichtspunkten zumindest, um Längen besser — und dazu noch auf englisch. Mit Vibrato, Timbre und allem. In die Schlagerkiste will man nicht gesteckt werden, die bekannten Vorbilder sind Dylan, Donovan und die Doors.
Die Ähnlichkeit mit Nena liegt auch weniger in der Musik als in der Art, wie Peacock Palace sich als jugendliche Role Models verkaufen, wie sie jeansmäßig auf dem neuesten Stand sind, Frisur bekennen oder auf dem Coverrückseiten- Foto etwas unmotiviert, aber pittoresk durchs Brackwasser waten — vier Freunde, von denen jeder in abgemilderter Form ein bestimmtes Segment aktueller Stiltrends abdeckt: Lederwesten- Look meets Bikerjacke und folkloristische Stickmusterbluse. Der Keyboarder hat sogar eine Tätowierung auf dem rechten Oberarm.
Zusammengenommen ergibt das zwar die Idealschnittmenge aus Rocker-Attituden, Gymnasiasten-Psychedelia und Neo-Folkietum, doch bloß rein rechnerisch. Was die Musik anbelangt, geht das Kalkül nicht auf. Zu sehr neutralisieren sich die einzelnen Komponenten zum breitwandigen Konsenssound, der die Bodenhaftung zur ehrlichen Independentexistenz verloren hat, dem aber auch der Mut zum ganz großen Kitsch fehlt.
Ein einziger Titel, die erste Single Like a Snake mit ihren verschleppten Ska-Rhythmen, hat die Qualitäten zum peinlichsten Lieblingsstück, der Rest läppert sich so dahin, kommt mal handgezupft, mal milde bratzig daher, ohne sich aus den Schablonen radiotauglicher Durchschnittsware lösen zu können. »I saw the four seasons sitting on the back of wooden horses, turning in a roundabout« — auch wenn da Herzblut drinsteckt, hat das etwas ähnlich Verschwiemeltes wie der Bandname. Peacock Palace: klingt ein wenig nach einer neuen Parfummarke, ein wenig nach Holiday Inn, ein wenig nach Literatur Marke »Creative Writing« und ein wenig nach überhaupt nichts. Geht aber ganz gut über die Zunge. Und nicht übel ins Ohr. Auch wenn das die Hauptsache ist heutzutage, freiwillig hör' ich mir so etwas eher selten an.
Noch so ein Fall: Poems For Laila. Man darf ja nichts Schlechtes über sie schreiben, weil sie ein echtes Gewächs der Berliner Szene sind, sich über die Senatsrockschiene zäh zum Vertrag bei Polydor hochgedient haben und seit einiger Zeit erstmals die verdienten Früchte ihres harten Band-Daseins in die Scheuer einzufahren beginnen. Recht so, solchen Leuten gönnt man ja das Blaue vom Himmel, aber mal ehrlich: gut ist doch was anderes.
Auf Katamandu zieht die Band um Songwriter Nikolai Tomàs wieder alle Register ihrer schwerblütigen Kunst, kocht die bewährte Hausmannskost noch einmal auf, die sie mit Spurenelementen traditioneller Weisen anreichert. So schiwagomäßig, so lala. Der Wiedererkennungswert ist mehr als gesichert. Noch einmal erklingt das alte Lied der Taiga, noch einmal umschluchzen die Mandolinen die Gesangsparts, und die zweite Stimme steigert das Sentiment an passender Stelle ins Hochdramatische. Ist alles gar nicht so ungeschickt. Aber jede U-Bahn-Fahrt hat folkloristisch Aufregenderes und vor allem Authentischeres zu bieten, und PFL sind im Grunde eine Prä-Mauerfall-Band. Bloß eine Frage der Zeit, wann Berlin seiner so oft herbeigeredeten Rolle als Schmelztiegel gerecht werden und die Ost- West-Connection auch bandmäßig in überzeugendere Formen schmieren wird.
Einziger Pluspunkt: Bei Poems For Laila hat die Major-Label-Produktion noch nicht wirklich Fett angesetzt, vor allem der Gitarrensound klingt noch nach Proberaum und im Gegensatz zu Peacock Palace tatsächlich ein wenig nach den Doors.
Und der Osten? Fast pflichtgemäß produziert er in diesen Tagen viel Idealismus, aber wenig Neues — wenn man Müllerbeat aus dem brandenburgischen Lauchhammer mit ihrem Debüt Don't call me Müller! als Maßstab nimmt. Laut Presseinfo macht die fünfköpfige Band Musik, »um dem tristen Leben in der von Stahlwerken und einer riesigen Kokerei geprägten Umgebung einen Sinn zu geben«. Das Resultat sind einigermaßen sonnige Reggae- und Ska-Songs, die teilweise erschreckend an die frühen Police erinnern. Message in a Bottle, preußisch jugendlich verklärt. Der Sänger gibt sich wirklich alle Mühe, wie Sting zu singen.
Möglicherweise sind in die gut abgekupferten, aber kreuzbraven Oberflächen subversive Tiefen-Messages eingelassen (»Don't call me Müller«?), doch für westliche Ohren bleiben sie unverständlich, und ob im abgewickelten Arbeiter- und-Bauern-Staat noch die sprichwörtliche Bereitschaft zum untergründigen Verstehen existiert, sei hier dahingestellt. Die Deutsche Schallplatten GmbH Berlin jedenfalls preist ihr Produkt mit einem wertkonservativen Argument an: »einfach gute Musik der Jungs von nebenan«. So wurden vor zehn Jahren BAP vermarktet. Thomas Groß
Peacock Palace: Adding Wings (Columbia/ Sony)
Poems For Laila: Katamandu (Polydor)
Müllerbeat: Don't call me Müller! (Deutsche Schallplatten GmbH)
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