: 166.000 flüchten aus Bosnien
■ Flughafen von Sarajevo belagert/ Deutsche Friedensgesellschaft: Gleichbehandlung aller Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien/ USA fordert die Bürgerkriegsparteien zur Einhaltung des Waffenstillstands auf
Belgrad (dpa/ap/taz) — Trotz des ständigen Kugelhagels ist der bosnische Flughafen in Sarajevo von tausenden Flüchtlingen belagert. Alle sind bereit, jeden beliebigen Schwarzmarktpreis für ein Ticket auf den Tisch zu legen, um endlich weg zu können aus den umkämpften Krisengebieten. Ähnlich ist die Situation auf den Busbahnhöfen aller größeren Städte der Bürgerkriegsrepublik. Auch hier hoffen die Verzweifelten auf einen Platz in einem der Busse, die ohne festen Fahrplan „in sichere Gebiete“ fahren.
Aus den Städten Foca und Zvornik rollt seit Tagen eine nicht enden wollende Flüchtlingswelle: Auf Traktoren, Lastwagen, in Privatautos oder sogar zu Fuß: „Wir wollen wenigstens unseren Kopf retten“, so die Leitlinie der Verzweifelten.
Allein in den vergangenen zwei Wochen sind 166.000 Menschen aus Bosnien-Herzegowina in panischer Angst vor dem Bürgerkrieg geflüchtet. Rund 900.000 hatte der Bürgerkrieg in Kroatien schon heimatlos gemacht. Damit sind fünf Prozent der Gesamtbevölkerung des auseinandergebrochenen Ex-Jugoslawien auf der Flucht.
Jüngster Grund zur Panik war eine Flutwelle, die Teile der ostbosnischen Stadt Visegrad überschwemmte. Hier wohnen überwiegend Muslimanen. Zwei Schleusentore eines naheliegenden Staudamms waren zuvor angeblich von muslimanischen Saboteuren als Vergeltungsaktion gegen serbische Angriffe geöffnet worden. Danach waren die Wassermassen in den Fluß Drina geströmt. Inzwischen ist jedoch der normale Wasserstand wieder erreicht. Die meisten Einwohner von Visegrad waren zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Flucht.
In der Bundesrepublik ist unterdessen eine Diskussion über die Gleichbehandlung der Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien ausgebrochen. Denn derzeit werden in allen deutschen Bundesländern nur Flüchtlingen aus Kroation geduldet und erhalten die damit verbundene Arbeitserlaubnis. Kommunale Ausländerbehörden hätten Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina und aus anderen jugoslawischen Republiken diese Möglichkeit jedoch verwehrt, berichtete die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstverweigerer.
Solange in Bosnien Krieg geführt werde, so die Organisation weiter, dürften die Flüchtlinge nicht abgeschoben werden. Die DFG-VK fordert: Ob Kroaten, Serben oder Bosnier, alle Flüchtlinge, die die Bundesrepublik erreichen, sollten gleichbehandlet werden.
Während die Flüchtlinge Schutz bei nahen Verwandten oder im Ausland suchen, geht der Krieg in Bosnien-Herzegowina weiter. Keine der Bürgerkriegsparteien hat sich bisher an die vereinbarte Waffenruhe gehalten. Auch gestern kam es wieder zu zahlreichen Gefechten, wobei die Bundesarmee offen Partei für die Serben in Bosnien ergriff.
Der Stabschef der Bundesarmee, General Zivota Panic, sagte in Belgrad, in Bosnien deute nichts auf ein Ende der Kämpfe hin. Seine Soldaten würden die dort lebenden Serben gegen Angriffe von Muslimanen und Kroaten verteidigen. Beobachter werteten diese Äußerung als erste offene Parteinahme für die Serben seitens der Armeeführung, die in Bosnien um die 100.000 Soldaten unter ihrem Kommando hat.
General Panic vermutet, daß die im Kampf gegen die Serben verbündeten Muslimanen und Kroaten etwa 97.000 Mann unter Waffen hätten. Über die Zahl der serbischen Milizionäre in der Republik, die sich Ende Februar für unabhängig erklärt hatte, machte der General allerdings keine Angaben. Unter dem Eindruck der anhaltenden Kämpfe haben die USA dazu aufgerufen, die vereinbarte Waffenruhe endlich einzuhalten. Washington warf der serbischen Regierung und der Bundesarmee vor, den serbischen Nationalisten bei ihren Angriffen zu helfen. Diese Angriffe seien eindeutig auf die Destabilisierung Bosniens gerichtet, sagte Außenamtssprecherin Margaret Tutwiler. Seit der Anerkennung der Republik durch die USA und die EG am 6. und 7.April sollen mehr als 150 Menschen ums Leben gekommen sein. BZ
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