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Potsdam billigt neue Verfassung

Am 14.Juni Volksentscheid über Brandenburgs neue Landesverfassung/ Recht auf Arbeit, Wohnung und soziale Sicherung als Staatsziele/ Recht auf Akteneinsicht als verfassungsrechtliches Novum  ■ Aus Potsdam B. Markmeyer

Wenn die BrandenburgerInnen beim Volksentscheid am 14.Juni mit „Ja“ stimmen, geben sie sich eine neue Verfassung. Die Abgeordneten des brandenburgischen Landtags nahmen die Verfassung, über die endgültig die Bevölkerung abstimmen muß, gestern mit großer Mehrheit in dritter Lesung an. Von 87 anwesenden Abgeordneten stimmten nur elf von der CDU gegen den Gesetzentwurf. Vier ParlamentarierInnen enthielten sich. Die Aussprache verlief gelassen.

Bei SPD, FDP und Bündnis 90 überwog der Stolz über die modernste Landesverfassung der BRD gegenüber der Verärgerung über Zugeständnisse, die die Koalitionsparteien während der anderthalbjährigen Diskussion an die CDU machen mußten. Steffen Reiche, der SPD- Landesvorsitzende, sah „einen wichtigen Fortschritt in der Verfassungsgeschichte“ und sagte, die moderne brandenburgische Verfassung werde die Debatte um die Neufassung des Grundgesetzes beeinflussen. Ministerpräsident Manfred Stolpe hielt für besonders wichtig, daß die Parteien in Verfassungsfragen „zum Konsens fähig“ gewesen seien. Für die CDU sagte die Fraktionsgeschäftsführerin Beate Blechinger, sie werde zustimmen, obwohl große Teile ihrer Partei und der Landesvorsitzende Ulf Fink sich noch am Tag zuvor gegen die Verfassung ausgesprochen hatten.

Die FDP bleibt skeptisch gegenüber den plebiszitären Elementen wie Volksbegehren und Volksentscheid, was jedoch, so der Abgeordnete Alfred Pracht, an ihrer Zustimmung nichts ändere. Umweltminister Matthias Platzeck (Bündnis 90) betonte die ökologischen Fortschritte innerhalb der Verfassung, da „nur eine ökologisch verfaßte Gesellschaft überlebensfähig ist“. Für die PDS/Linke Liste bedauerte Lothar Bisky vor allem die Abstriche gegenüber dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches 1990, der wesentlich für die brandenburgische Verfassung Pate gestanden hatte.

Die Potsdamer Verfassung — die erste in den neuen Ländern — nennt den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen sowie das Recht auf Arbeit, Wohnung und soziale Sicherung als Staatsziele. Sie läßt die von allen Umweltverbänden geforderte Verbandsklage zu und schränkt Eigentumsrechte ein, sofern EigentümerInnen sie dazu mißbrauchen, die Umwelt zu zerstören. Ehe, Familie und dauerhafte Lebensgemeinschaften werden gleich geschützt. Berufs- und Hausarbeit gelten gleichviel, die PDS konnte den Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz durchsetzen. Ausdrücklich schützt Artikel 27 die Würde von Kindern „als eigenständige Personen“. Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden. Neu aufgenommen wurde ein Abschiebungsverbot, wenn AusländerInnen in ihrem Herkunftsland Tod oder Folter drohen. Bei Gesetzentwürfen aus dem Volk, Volksbegehren und Volksentscheid blieb es bei den relativ niedrigen Quoren, die solche Initiativen in Gang setzen können.

Verfassungsrechtlich neu ist, daß alle BürgerInnen das Recht auf Akteneinsicht haben, sofern ihre Belange berührt sind. Erfolgreich war die CDU mit ihrer Initiative, das ursprünglich verankerte Widerstandsrecht zu streichen. Weiter setzte sie durch, daß die Fristenlösung bei Abtreibungen nicht Verfassungsauftrag wurde. Nun soll das Land lediglich entsprechenden Einfluß auf die Bundestagsentscheidung nehmen.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Peter-Michael Diestel konnte es nicht lassen, die Landtagssitzung mit einer typisch Diestelschen Show- Einlage zu beenden: Wenn die Verfassung im Volk keine Mehrheit finde, trete er als Vorsitzender zurück, erklärte der Sonnyboy vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen in seiner Partei. Diestel hatte nach dem Rücktritt von Gustav Just (SPD) den Vorsitz im Verfassungsausschuß übernommen.

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