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Bonn: Große Koalition gegen die RAF

■ Die Bonner Regierungskoalition ist in der Frage gespalten, wie sie auf das "Waffenstillstandsangebot" der RAF reagieren soll. Die CSU lehnte ab, Kinkel begrüßte das Angebot als "neue Qualität"...

Bonn: Große Koalition gegen die RAF Die Bonner Regierungskoalition ist in der Frage gespalten, wie sie auf das „Waffenstillstandsangebot“ der RAF reagieren soll. Die CSU lehnte ab, Kinkel begrüßte das Angebot als „neue Qualität“. Überraschend ist die harte Linie der SPD.

Scharfe Töne ist man aus dem Süden der Bundesrepublik gewohnt — besonders wenn es um die vielbeschworene innere Sicherheit geht. Nur einen Tag nach der eingestandenermaßen sensationellen Erklärung der Rote Armee Fraktion (RAF), die Waffen niederlegen zu wollen, dröhnte der CSU-Vorsitzende Theo Waigel, Konzessionen an die Kommandoebene der RAF kann und darf es nicht geben: „Das hätte verheerende Auswirkungen auf andere Kriminelle, die auch zur Gewalt greifen.“ Ein „Friedensabkommen“ mit der RAF komme nicht in Frage.

Der CSU-Mann schickte sich gestern an, das von Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) mühsam zusammengetragene Porzellan blindwütig zu zerschlagen. Waigel erkannte zwar an, daß es zu begrüßen sei, wenn die RAF aus eigener Einsicht auf Gewalt verzichte — nach über 20 Jahren der Anschläge und Attentate ist dem Christsozialen aber das Wichtigste, daß dieser Schritt nicht so aussehen dürfe, als ob damit ein Nachgeben des Staates verbunden ist. Waigel, der mit seiner Haltung einen handfesten Koalitionsstreit in der Bonner Osterpause lostreten könnte, bräuchte indes nur einen Blick in die Führungsspitze seines Unionspartners CDU wagen. Gegen alle öffentlichen Äußerungen einzelner CDU-Abgeordneter ist dort seit geraumer Zeit Rückendeckung für den Liberalen Kinkel vereinbart worden — der anhaltende Mißerfolg bei der Fahndung nach der RAF verhalf der CDU-Spitze zu unerwarteter Phantasie in der Frage, wie das Problem Terrorismus gelöst werden könnte.

Ähnlich vorlaut wie Waigel — und wenig überraschend — äußerte sich dessen Parteikollege, der bayerische Innenminister Edmund Stoiber. Sollte das in München aufgegebene fünfseitige RAF-Schreiben „tatsächlich authentisch sein“, hält Stoiber dies für ein „Verdienst der konsequenten Haltung des Staates und der Sicherheitsbehörden, die Verhandlungen mit der RAF abgelehnt und diese als Schwerstkriminelle behandelt haben“.

Die beiden CSU-Funktionäre übersehen aber, daß sich das Schreiben der Illegalen — und das allein ist schon bemerkenswert — ausschließlich auf eine Initiative des Bundesjustizministers Kinkel beruft, der sich Anfang Januar für eine Aussöhnung des Staates mit der RAF und eine vorzeitige Haftentlassung von RAF-Gefangenen stark gemacht hatte. Kinkels Pläne, über eine politische Lösung in der Frage „Haftbedingungen der RAF-Gefangenen“ den Weg für ein Ende des bewaffneten Kampfes zu ebnen, finden nachhaltige Unterstützung nicht nur bei den Sicherheitsbehörden.

Burkhard Hirsch, innenpolitischer Fraktionssprecher der FDP, hielt gestern in einem Interview dem Rechtsausleger Waigel entgegen, er halte seine Einstellung „für wirklich sehr falsch“. Im Gegensatz zum CSU-Koalitionspartner, der ebenso wie der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Norbert Geis, gegen eine „Sonderbehandlung“ der RAF-Gefangenen polemisierte, setzte sich Hirsch für direkte Gespräche mit den RAF-Häftlingen ein. Sie sollten, „wo es möglich und angebracht ist, zusammengelegt werden“. Für den Liberalen gilt, daß die Justizbehörden wie bei allen anderen Straftätern auch bei den RAF-Gefangenen nach einer gewissen Zeit der Haft zu prüfen haben, ob diese vorzeitig auf Bewährung entlassen oder begnadigt werden könnten.

Kinkel, nach dem RAF-Schreiben unversehens wieder im Kreuzfeuer der Kritik seiner Ministerkollegen, wertete das RAF-Papier als „neue Qualität“. An die RAF-Gefangenen appellierte er, sich der Erklärung der Illegalen anzuschließen. Inständig bat der Justizminister darum, „wir sollten mit dem, was wir jetzt in der Hand haben, vorsichtig umgehen und es nicht zerreden, sondern sehen, daß wir das Beste daraus machen“.

Kinkel warnt zu Recht, wie die Reaktion einiger Sozialdemokraten gestern zeigte: Deren innenpolitischer Experte, Willfried Penner, lehnte jegliches Entgegenkommen gegenüber Terroristen ab. Die RAF sei eine verbrecherische Organisation, die nie „Verhandlungspartner“ sein könne — „ein Fall für die Polizei und die Strafjustiz“. Auch für die stellvertretende SPD-Parteichefin Herta Däubler-Gmelin darf es „auf keinen Fall Geschäfte mit Terroristen geben“.

Generalbundesanwalt Alexander von Stahl stellte sich dagegen hinter Kinkel. Für von Stahl, früher ein Gegner jeglicher politischer Lösungen, bietet die RAF-Erklärung einen „hoffnungsvollen Ansatz“ bei der Prüfung vorzeitiger, bedingter Entlassungen inhaftierter Terroristen. Das Schreiben der RAF eröffne eine Chance, die „Spirale der Gewalt zu beenden“. Er will die Erklärung zwar „nicht als Kapitulation der RAF“ verstanden wissen, schließlich drohe diese für den Fall, daß Kinkels Pläne scheitern, mit der Wiederaufnahme ihrer tödlichen Anschläge. Die zentrale Bedeutung des Schreibens sieht von Stahl aber darin, daß die Kommandoebene der RAF bereit ist, von Mord- und Sprengstoffverbrechen abzusehen, um politische Lösungen in der Gefangenenfrage zu ermöglichen.

Auch die niedersächsische Justizministerin, Heidi Alm-Merk (SPD), hat die Absicht der RAF begrüßt, den bewaffneten Kampf zu beenden. In einem Interview sprach sie sich für die Überprüfung einer vorzeitigen Entlassung der lebenslänglich verurteilten RAF-Mitglieder aus.

Bei sieben RAF-Gefangenen steht das reguläre Strafende oder die Prüfung der Strafaussetzung in diesem Jahr bevor. Genannt werden der 37 Jahre alte Günter Sonnenberg, die 44jährige Irmgard Möller, Bernhard Rössner (46), Lutz Taufer (48), Christine Kuby (39), Karl-Friedrich Grosser (45) und die 42jährige Christa Eckes. Wolfgang Gast

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