Libyen in Den Haag abgeblitzt

■ Internationaler Gerichtshof lehnt Antrag aus Tripolis ab/ UN-Sanktionen treten heute automatisch in Kraft/ Letzter Vorschlag Libyens: Auslieferung der mutmaßlichen Lockerbie-Attentäter an Malta

Den Haag/Kairo (ap/afp/taz) — Mit elf gegen fünf Stimmen lehnte der internationale Gerichtshof in Den Haag gestern Libyens Antrag ab, per einstweiliger Verfügung UN- Sanktionen gegen das nordafrikanische Land zu verhindern. Damit galt als sicher, daß heute um sechs Uhr früh deutscher Zeit (0.00 Uhr beim UN-Sitz in New York) ein Militär- und Luftfahrtembargo gegen Libyen in Kraft tritt. Der UN-Sicherheitsrat hatte das Embargo schon am 31. März beschlossen. Es sollte automatisch einsetzen, wenn Libyen nicht die beiden mutmaßlichen Lockerbie- Attentäter und vier Libyer, die verdächtigt werden, 1989 ein französisches Flugzeug vom Himmel gebombt zu haben, ausliefert. Bei dem Anschlag auf einen PanAm-Jumbo über dem schottischen Ort Lockerbie im Jahr 1988 kamen 270 Menschen ums Leben. Bei der Explosion an Bord eines französischen Flugzeugs über Niger starben 171 Passagiere. Grundlage für die UN-Resolution bildet der gleiche Artikel der UN- Charta, mit dem Sanktionen gegen den Irak verhängt wurden. Militärische Mittel zur Durchsetzung des Embargos sind demnach erlaubt. Die meisten Embargofolgen hatte die libysche Führung allerdings gestern selbst vorweggenommen. Auf Anordnung Gaddafis wurden bereits Stunden vor dem Urteil aus Den Haag alle Flughäfen für Auslandsflüge gesperrt, der Postverkehr mit dem Ausland eingestellt und Telefonverbindungen gekappt. Offizieller Anlaß war aber nicht das bevorstehende Embargo, sondern ein Staatstrauertag aus Anlaß des sechsten Jahrestages der Bombardierung der libyschen Städte Tripolis und Bengasi durch US-Kampfflugzeuge. Eigentlich jährt sich der Angriff erst heute, um dem Embargo zuvorzukommen, wurde das Jubiläum aber um 24 Stunden vorverlegt. Westliche Diplomaten in Tripolis meinten, die libysche Führung habe durch die Maßnahme nicht zuletzt die in Libyen verbliebenen westlichen Ausländer unter Druck setzen wollen. Vor allem Frauen und Kinder hätten geplant, gestern mit den letzten Fliegern das Land zu verlassen. In Libyen arbeiten rund 10.000 Europäer und 1.000 US-Bürger. Allerdings können sie Libyen weiterhin auf dem Landweg verlassen.

Die Parallelen zwischen dem Vorgehen gegen Libyen und dem Krieg gegen Irak hatten in den arabischen Staaten Proteste gegen die UN-Resolution ausgelöst. Marokko, derzeit das einzige arabische Land mit einem Vertreter im Sicherheitsrat, hatte sich am 31. März der Stimme enthalten, Syrien und Ägypten machten aus ihrer Ablehnung gegenüber Sanktionen keinen Hehl. Auf keine Zustimmung bei der UNO stieß ein libyscher Vorschlag, der am Montag dem Sicherheitsrat unterbreitet worden war. Demnach schlug die libysche Führung vor, die beiden Geheimdienstler an Malta auszuliefern. Beide sollten dort so lange in Haft bleiben, bis ein Gericht in einem neutralen Land ein Urteil über sie fällt. Die USA, Großbritannien und Frankreich bestehen aber auf Prozessen auf ihrem Boden.

Für die Ernsthaftigkeit des letzten libyschen Vorschlags spricht, daß der zweite Mann in der libyschen Führung, Abdel Salam Dschallud am Montag nach Malta flog. Dschallud gehört zum gleichen Stamm wie die beiden angeblichen Lockerbie-Attentäter und hatte sich bisher vehement gegen eine Auslieferung gesperrt. Noch am Montag hatte er in Tripolis gewettert: „Das libysche Volk lehnt eine Verurteilung seiner Söhne in einem dritten Land ab.“ taud