Verfassungsrichter für Strafaussetzung bei RAF

Saarbrücken/Bonn (ap/taz) — Der Streit um die Reaktion des Staates auf die Waffenstillstandserklärung der RAF ging auch gestern weiter. Dabei wäre eine vorzeitige Haftentlassung von RAF-Häftlingen nach Ansicht des Verfassungsrichters Helmut Simon kein Zeichen für staatliche Schwäche. „Die Strafaussetzung zur Bewährung ist eine Rechtspflicht“, erklärte Simon am Mittwoch im Saarländischen Rundfunk. Die Prüfungen dazu seien vom „Verfassungswillen geboten“. Er könne sich vorstellen, daß es im Umgang mit den RAF-Häftlingen nun zu einer Normalisierung komme, sagte der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht. Sache des Staats sei es nun, „daß er sich als Inhaber des Gewaltmonopols weise und überlegen verhält“. Der frühere Generalbundesanwalt Kurt Rebmann hat sich dagegen entschieden gegen ein Eingehen auf die RAF-Forderungen ausgesprochen. In einem Interview nannte Rebmann die im jüngsten RAF-Schreiben genannten Bedingungen für einen Gewaltverzicht indiskutabel. „Wenn die Bundesregierung den geforderten Preis für strafrechtliches Wohlverhalten zahlt, dann hat sie sich nötigen, dann hat sie sich erpressen lassen“, sagte Rebmann.

Der pensionierte Generalbundesanwalt betonte: „Wenn der Staat den Terroristen entgegenkommt, würde ich es als Schwäche bezeichnen. Wir müssen die terroristischen Gefangenen und Gewalttäter ebenso behandeln wie alle anderen Straftäter und Gefangenen auch.“ Rebmann fügte hinzu: „Welche Haftbedingungen RAF-Gefangene haben, ob sie zusammengelegt werden und wie lange sie eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verbüßen haben, das entscheidet nicht die RAF, sondern der Staat durch seine Organe, vor allem auch durch seine Justiz.“

Der RAF-Waffenstillstand könnte nach den Worten des stellvertretenden Regierungssprechers Norbert Schäfer den Kreislauf der Gewalttätigkeiten der Terroristen durchbrechen. Sollte dies gelingen, wäre „das selbstverständlich zu begrüßen“, sagte Schäfer am Mittwoch in Bonn. Die Bundesregierung gehe vorbehaltlich der endgültigen Prüfung davon aus, daß der am Montag von der RAF übermittelte Brief authentisch ist. Am Grundsatz „Gleiches Recht für alle“ wird nach Angaben von Schäfer festgehalten. Der Bundeskanzler sei der Meinung, daß „dieses Thema jetzt auf die Ebene von Sachgesprächen innerhalb der Bundesregierung gestellt werden muß“. Staatsminister Bernd Schmidbauer sei von Kohl beauftragt worden, nach der Osterpause die beteiligten Ressorts im Kanzleramt zusammenzuführen. Nach Ansicht von Bundesinnenminister Seiters kann nach dem von der RAF erklärten vorläufigen Verzicht auf Gewaltakte „keine Entwarnung“ gegeben werden. Seiters sagte, an der Gefährlichkeit der Terroristen habe sich nichts geändert, auch wenn sie jetzt erklärten, einen neuen Weg einschlagen zu wollen.