: Der schöne kurze Osterausflug
Karfreitag, elf Uhr vierzig. Die Dunstglocke aus angedickter Bratensoße liegt schon überm Haus. Ein Tag, an dem die Läden geschlossen bleiben; man verschläft also. Ohne Frühstück in den Kleinstwagen, nur einmal zurück in den zweiten Stock: Sonnenbrille an Bord, Leinen los, Kurs auf Buckow in Brandenburg.
Bis Marzahn kein Anzeichen von Stau; die Wahnsinnigen sind schon um sieben Uhr dreißig aufgebrochen, weil der innere Industriewecker es so wollte und weil sie so auch heute wieder das haben, was sie jeden Tag haben und haben müssen: die Gesichter der anderen Wahnsinnigen im Stau. Man blickt auf welligem Asphalt von Fenster zu Fenster. Die kleinen Zimmer, in denen man zu rollen versucht, heißen »Akkord« und »Omega«, manche auch »Passat« oder »Scirocco«. Meines heißt, schwer gelogen, »Cuore« (das japanische Wort für »Herz«).
Um den Kopf weht eine Brise / Aus besonnter Luft und Wiese / Dividiert durch viel Benzin, schrieb der glückliche Erich Kästner vor ein paar Jahrzehnten (Im Auto über Land). Heute wird bekanntlich andersrum dividiert; Luft und Wiese teilen den Benzindunst nur noch notdürftig. Wer mit offenem Fenster fährt, härtet sich ab.
Rechts von uns ein kleiner Trupp Verzweifelte: Er mit schnapsrotem Teint, ostobligatorischem Sauerkrautbart, zutiefst mürrischem Blick. Sie im mittelgrob Geblümten, mit schnöder AOK-Lesebrille im Stadtplan forschend. Hinten die zwei bösartig tosenden Kinder: vom Doppelwalkman lustige Gewaltmärchen hörend, nebenbei noch kreischend und einander mit süßem Klebdreck abreibend. Als alle Welt etwas länger hält, sieht der Mann mir und meiner Verlobten minutenlang in die Gesichter. Ob er uns gern töten würde, wenn man ihn ließe? Müssen wir denn auch singen, küssen, glücklich aussehn? Gute Laune gilt im Osten womöglich als Relikt der glücklich überwundenen Ulbricht-Ära.
Der Schnapsmann sieht uns weiter an. Aus seinem Grobiansblick läßt sich, murmelt es in mir, womöglich der künftige Zustand meines eigenen Blicks hochrechnen: die verpaßten Gelegenheiten, die mißratenen Kinder, das ewige Essen von Schweinernem an den grausamen Sonntagen, wenn die Läden zubleiben. Es ruckt wieder zwei Meter vorwärts. Der Schnapsblick kommt zurück. Zwei blöde Tiere starren einander an, jedes im eigenen Käfig, vollmobil, ganz bürgerliches Subjekt.
Genug, Liebste, laß uns scheißen auf die Sonne. Kehrn wir um und fahrn drei Stunden von Mahrzahn nach Mitte, Schnapsblick, ruck, Haßgebärde, Gasgeben, Bremsen, Schnapsblick, ruck. Du ziehst das schöne Gelbe an, wir backen schmierige Kuchen, reißen alle Fenster auf und werfen Eier auf die Touristen. Frohe Ostern. Klaus Nothnagel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen