: Generäle stürzen Nadschibullah
■ Afghanischer Präsident wurde von den eigenen Militärs und oppositionellen Mudschaheddin abgesetzt/ In Kabul regiert ein Militärrat/ USA, Rußland und UNO rufen zur Mäßigung auf
Kabul (ap/dpa/wps) — Irgendwo in Kabul hielt sich Mohammed Nadschibullah gestern versteckt. Der afghanische Präsident war am Donnerstag von seinen eigenen Generälen abgesetzt worden und auf der Flucht. Diplomaten munkelten, der als „Bulle von Kabul“ berüchtigte Nadschibullah habe sich in einer ausländischen Botschaft oder im UN- Quartier in der afghanischen Hauptstadt verbarrikadiert. Nach Angaben des afghanischen Außenministers Abdul Wakil hatte zuvor ein gemischter Militärrat aus 45 Generälen und 17 Kommandeuren aus den Reihen islamischer Rebellen die Macht übernommen. Wakil, der bisher zu den engsten Beratern Nadschibullahs gehörte, bezeichnete seinen ehemaligen Chef als „großes Hindernis zum Frieden und zur Verständigung mit unseren Mudschaheddin-Brüdern“. Der Chef der afghanischen Geheimpolizei beging Wakil zufolge Selbstmord. Regierungstruppen und die verschiedenen Mudschaheddin- Gruppen hatten sich in den letzten Jahren blutig bekriegt.
In den vergangenen Tagen hatten die Regierungsgegner ihren Vormarsch auf Kabul beschleunigt. Kämpfer der als gemäßigt geltenden Rebellenorganisation Dschamiat-e- Islami, die offenbar ein Bündnis mit der Armee einging, besetzten am Donnerstag nach eigenen Angaben mit Billigung regulärer Truppen den Flughafen der Hauptstadt. Die Dschamiat-e-Islami ist mit der Hesb- e-Islami seit Jahren verfeindet. Beide Gruppen lieferten sich untereinander fast ebenso heftige Kämpfe wie mit den Regierungstruppen. Beobachter vor Ort erklärten, die jüngsten Erfolge der Rebellen seien hauptsächlich das Ergebnis geheimer Abmachungen zwischen Offizieren der unteren und mittleren Dienstgrade und Guerillas. Es habe kaum noch Kämpfe gegeben, und wenn, dann zwischen den rivalisierenden Rebellengruppen. Die Guerillas fühlten sich von ihren Erfolgen offenbar dazu ermutigt, vor dem Inkrafttreten von UNO-Regelungen vollendete Tatsachen zu schaffen.
Der Führer der Hesb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatjar, drohte gestern mit einem Angriff seiner Milizionäre auf Kabul, falls sich die Armee und sämtliche Überreste der Regierung nicht seinen Mudschaheddin ergeben würden. Auf keinen Fall werde sich seine Organisation an einer Regierung mit den Militärs beteiligen.
Die Regierungen der USA und Rußlands, sowie UN-Generalsekretär Butros Ghali riefen alle Beteiligten zur Zurückhaltung auf. Pakistan, das bisher verschiedene Mudschaheddin-Gruppen unterstützt hatte, forderte einen sofortigen Waffenstillstand. Die Regierung Rußlands wollte einen Sonderbeauftragten nach Kabul schicken.
Keine Chance hat angesichts des Sturzes von Nadschibullah ein UN- Friedensplan für Afghanistan. Sprecher der verschiedenen Mudschaheddin-Gruppen erklärten gestern, für den UN-Plan sei die Grundlage entfallen. Nadschibullah hatte dem Plan Ende März zugestimmt und seinen Rücktritt angeboten. Die UNO hatte vorgesehen, eine afghanische Interimsregierung zu bilden, die freie Wahlen vorbereiten sollte.
In Kreisen der bislang regierenden Vaterlandspartei wurde gestern die Version verbreitet, Nadschibullah habe die Regierungsgewalt abgegeben, um ein Massaker in der von Guerillas umstellten Hauptstadt zu verhindern. Über sein weiteres Schicksal lagen unterschiedliche Angaben vor. Aus Nadschibullahs Partei verlautete zum einen, dem gestürzten Staatschef solle der Prozeß gemacht werden; zum anderen hieß es aber, es liefen Verhandlungen mit der UNO über eine Ausreise des geschaßten Präsidenten. taud
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