: Hohe Strafen im Ambrosiano-Prozeß
Italiens Justiz macht ernst: Schwurgericht schickt Industrielle und Geheimbündler im Verfahren um die Banco Ambrosiana in den Knast/ Sechs Jahre für Olivetti-Chef De Benedetti, 18 Jahre für P2-Boß Gelli ■ Aus Mailand Werner Raith
Im Gerichtssaal brach Entsetzen aus, dem staatlichen Fernsehen RAI verschlug es derart die Sprache, daß erst nach vier Anläufen eine einigermaßen brauchbare Meldung zustande kam. In dem Wirtschaftsprozeß um die 1981 zusammengebrochene Banco Ambrosiano sprach das Mailänder Schwurgericht am Donnerstag alle 33 Angeklagten des betrügerischen Bankrotts oder der Beihilfe für schuldig. Die Richter, die ziemlich exakt den Forderungen des Staatsanwalts folgten, verhängten gegen die Hauptverantwortlichen und Mitprofiteure insgesamt Freiheitsstrafen von mehr als dreihundert Jahren sowie Geldstrafen von insgesamt rund 130 Millionen DM. Der Chef der 1981 aufgeflogenen Geheimloge „Propaganda Due“ (P2), Matrazenfabrikant Licio Gelli wurde zu achtzehneinhalb Jahren, sein engster Mitarbeiter Umberto Ortolani zu 19 Jahre, das Faktotum der beiden, Flavio Carboni zu 15 Jahren Haft verurteilt. Eine Freiheitsstrafe von vierzehneinhalb Jahren kassierte auch Francesco Pazienza, ein Kollaborateur verschiedener Geheimdienste. Die größte Sensation war die vorbehaltslose Verurteilung der in die Machenschaften der Bank verwickelten Industriellen: Der einstige Generalmanager des Rizzoli-Verlags, Bruno Tassan Din, erhielt 14 Jahre acht Monate, Olivetti-Chef Carlo De Benedetti sechs Jahre und vier Monate, der italienische Mineralwasser-König Guiseppe Ciarrapico fünf Jahre und sechs Monate. Tassan Din hatte die Anbrosiano-Bank unentwegt Kredite eingeräumt, obwohl der Verlag am Zusammenbrechen war; Ciarrapico bekam mehr als 30 Millionen DM ohne alle Sicherheiten — seine Freundschaft zu Logenchef Gelli genügte als Garantie. De Benedetti wiederum ließ sich nach Gerichtserkenntnissen seine Einlagen von rund 40 Millionen DM schnell wieder auszahlen, als ihm schon klar war, daß die Bank zusammenbrechen würde.
Das Schwurgericht hat nach einwöchiger Beratung, den vorläufigen Schlußpunkt hinter einen der schwierigsten Prozesse der italienischen Geschichte gesetzt. Zwei Jahre dauerte das Verfahren um den Zusammenbruch des einst größten privaten Geldinstitutes Italiens. Nach dem mysteriösen Tod des Bankchefs Roberto Calvi, der unter der „Brücke der Schwarzen Brüder“ in London erhängt aufgefunden worden war, hatte man 1981 bei dem Kreditinstitut ein Deckungsloch von mehr als zwei Milliarden Dollar entdeckt. Mitverwickelt in die undurchsichtigen Finanztransaktionen war auch das „Instituto per le opere di religione“, eine Art Nationalbank des Vatikans, dessen Leiter Erzbischof Marcinkus jedoch, ebenso wie seine engsten Mitarbeiter, wurden vom italienischen Verfassungsgericht als ausländische Diplomaten eingestuft und für immum erklärt. Eine weitere Schlüsselfigur, der Mafiabankier Michele Sindona, war 1988 im Hochsicherheitsknast Volterra an vergiftetem Espresso gestorben.
Doch es reichte auch so noch für einen sensationellen Prozeß: Angeklagt war nahezu die gesamte Spitze der Geheimloge P2, jenem von Licio Gelli geleiteter politischer Geheimbund, bei dem neben zahlreichen amtierenden Ministern und Staatssekretären auch mehrere Parteichefs, die Leiter aller drei Geheimdienste, hohe Offiziere, Banker, Verleger und Topjournalisten mitmischten. Der verschworene Zirkel hatte die angesehen Katholikenbank, bei der für die Kontoeröffnung der zuständige Priester ein Zeugnis für den Einleger liefern muß, zu ihrem Hausinstitut gemacht. Die P2-Verschwörer schalteten in der unter den Nagel gerissenen Bank, wie sie wollten: So managte Logenchef Gelli riesige Waffenlieferungen nach Argentinien, das damals kurz vor dem Krieg mit England stand; andere Gelder flossen über den Vatikanbankchef Marcinkus an die polnische Gewerkschaft Solidarność. Mitangeklagt wurden einige ehemalige Manager sowie Kreditnehmer der Banco Ambrosiano, darunter Olivetti-Chef De Benedetti, der die Bank selbst einige Monate mitgeleitet hatte, sowie der Mineralwasserfabrikant Ciarrapico, einer der engsten Vertrauter des scheidenden Ministerpräsidenten Giulio Andreotti.
Das Gericht setzte mit dem Urteil die neue Tendenz italienischer Rechtsprechung fort, wonach nun — nach Jahren zuverlässiger Freisprüche — auch die „Unberührbaren“ zur Rechenschaft gezogen werden: Dunkelmänner, Freunde höchster politischer Zirkel und schwerreiche Magnaten können sich bei zwielichten Machenschaften nicht mehr sicher fühlen. Darüber scheinen sich auch die einschlägigen Kreise klar zu werden: Die Börse reagierte auf das Urteil mit einem schweren Aktieneinbruch aller Firmen De Benedettis und Ciarrapicos.
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