: Total sentimental
■ Karin Schiek, Ex-Packhaus-Chefin, macht im Astoria das Varieté und ist Frau Usenburger / An der Schnittstelle von Geld und Kunst
Pfeifen im Theater gibt's nicht, über die Schulter wird gespuckt, schwarze Katzen bedeuten Übles, und Steinböcke haben's schwer. Karin Schiek ist ein Steinbock, und das heißt kämpfen. Ihr Geschäft ist hart, Theater, Kleinkunst, Varieté, Karin Schiek arbeitet an der aufreibenden Schnittstelle von Geld und Kunst. Als Managerin. Wir sitzen in der „Arizona-Bar“ des Astoria bei rabenschwarzem Kaffee und Zigaretten. „Ich kann lange stillhalten“, sagt sie und meint (auch) „durchhalten“. Wenn man in Bremen einen Varieté-Betrieb in Gang setzen will, braucht man einen langen Atem. „Schiek's Varieté“ heißt ihr Projekt, ein nostalgisches Unterfangen. Ist sie sentimental? „Totaaal!“
Eva Maria Hagen war da, Robert Kreis, Walli Bockmayer, die Insterburgs, Schieks Varieté läuft schleppend, aber an. Testweise gab's jüngst die „Wundertüte“, einen Abend im Sinne des alten Bremer Astoria mit Diseuse, Seiltanz und Feuerspucken. Ach, das alte Astoria! Von Emil Fritz, der damit über Kopf ging. Ein Steinbock braucht Unmengen Freunde, um den Fährnissen des Lebens trotzen zu können. Wolfgang Fritz, Sohn des alten Fritz, gehört zu Karin Schieks Freunden und hatte ihr den Astoriafloh ins Ohr gesetzt. Als sie dann 1990 von den neuen Bremer Astoria- Plänen in der verblichenen „Markthalle“ Wind bekam, stieg sie ein.
Sie war gerade so frei. Nach 13 Jahren Packhaus-Theater hatte Karin Schiek Weihnachten '88 Handtuch und Tür geschmissen. Der neun(!)-köpfige Vorstand der Bremer Kleinbühne von 1976 (Jahresetat ärmliche 50.000) hatte ihr, sagt sie, mit bürokratischem Getue und „Intrigen“ das Leben schwer gemacht und die Gesundheit ruiniert. Als sie dem Vorstand zu „aufsässig“ wurde, kam vom Vorsitzenden Ulrich Nölle die Kündigung.
Günther Huster hatte sie '76 als Maskenbildnerin engagiert, 1980 übernahm sie die künstlerische und Geschäftsleitung von Ernst Dietz, schließlich inszenierte sie auch selbst, z.B. „Butterbrot“ von Gabriel Barylli („Männer“). Nein, Boulevard heißt nicht „Schenkelschlagen“, betont Karin Schiek und verweist auf all die Toller, Sartre, Camus, Dario Fo, Kroetz und den „Urfaust“, die das Packhaus-Theater produzierte.
Eine wichtige, aber harte Zeit: Manchmal mußten ihre Schauspieler vor fünf Besuchern spielen; waren es weniger, ging man ein Bier trinken. „Die Schauspieler taten mir dann endlos leid“, erzählt sie, und Freunde wissen, sie hat „nahe am Wasser gebaut“. Das Theater bestand neben ihr aus einem „halben“ Techniker und einer ABM-Kraft. Ihre Tochter Karina wuchs praktisch dort auf.
Karina macht ihren Weg als Schauspielerin; sie tritt jetzt in den nächsten „Derrick“-Folgen auf. Die andere Schiek-Tochter ist LKW-Fahrerin und Kauffrau. Geregeltes Familienleben hat Karin Schiek mit negativem Ausgang ausprobiert. Das war ihr, die 1945 in Bielefeld auf die Welt kam, auch nicht in die Wiege gelegt: Als „Schlüsselkind“ wuchs sie bei Nachbarn auf und träumte davon, Seiltänzerin zu werden. Sie tobte mit Hannes Waders Clique herum, lernte als Maskenbildnerin an der Städtischen Bühne Perücken knüpfen, mit 17 kam Ariane („Mit Pille war damals noch nix“). 1971 zog sie nach Bremen - „Wer bleibt schon in Bielefeld?“
Uli Bau, neben Achim Grunert Chef des Astoria, huscht herein, eine kurze Absprache, weg ist er. Alles wuselt herum, mal kommt jemand mit einer Tasche Geld für die Handwerker, überall stehen wichtige Mitarbeiter rum. Aber die Scheiben der „Arizona Bar“ muß Karin Schiek selbst putzen. Und beim Vorverkauf aushelfen. Das Astoria ist ein Disko-Betrieb und nur als solcher bislang einigermaßen erfolgreich. „Und dazwischen wusel ich mit meinem kleinen Varieté rum.“ Auch schwer. Sie bekommt keine Freitage und Samstage, die wären fürs ältere Publikum wichtig. Und mit dem durch einen Vorhang abgetrennten Varieté-raum ist sie kreuzunglücklich. Nach oben blickt man in ein metallisches Gewirr — nicht zu ändern, da sitzen die Sprinkler . Zur Seite auf die Tresen-Unge-tüme, „die kotzen mich an“. Doch wo soll sonst konsumiert werden? Und Schiek's Etat? Da ist sie völlig perplex ob dieser Idee — „Wir leben von der Hand in den Mund... Der Eintritt ist die Gage.“
So ist Karin Schiek: In einem Satz erzählt sie, wieviel Angebote sie nach sonstwo hat; im nächsten: „Hier halt' ich aus, ich kann doch sonst nichts.“ Und schon sprudelt sie wieder vor Ideen wie Frau Jaschke und die Geschwister Pfister, die sie unbedingt haben will. Und mit „Schmidt's“ zusammenarbeiten. Und erst recht Hape Kerkeling. Das ist ihr Knaller. Vom 24.4. an drei Tage volles Haus! Ausverkauft! Ihr Draht zu Hape, seit sie ihm die Frau Usenburger machte, die oberdämliche Dummtante aus „Total Normal“, passend zur „Mitropa“-Produktpalette. „Hape, das ist für mich Urlaub“, sagt sie, „ich freue mich wahnsinnig darauf.“
Was kann Karin Schiek schon passieren? Sie hat einen Traum von einem richtigen Varieté („Packhaus mit höherer Decke und 100 Plätzen mehr“); sie hat Freunde, mit denen kann sie segeln; sie kann immer noch Seiltanzen lernen; und eine weitere Karriere ist in Sicht: Ab August dreht sie mit Hape Kerkeling in Berlin einen Film noch geheimen Inhalts. Drehbuch: Hape. Die ehrgeizige Mutter: Karin Schiek! Burkhard Straßmann
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