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Sublime Teilnahme am Terror

Über Peter Reichels Studie zum „schönen Schein des Dritten Reiches“  ■ Von Eberhardt Hübner

Nachträglich ist der Nationalsozialismus ein Vorzugsobjekt für moralische Selbstvergewisserungen geworden. Gerade die linke Kritik hat sich häufig in puren Verurteilungen erschöpft (oft verbunden mit dem falschen Pathos eines Antifaschismus unter erleichterten Bedingungen), die das Phänomen eigentlich eher immunisiert haben. Der Brustton moralischer Entrüstung intoniert nämlich in erster Linie eine Positionsbestimmung, die leicht an die Stelle von Erklärungen (mit ihrer verdächtigen Gleichgültigkeit Positionen gegenüber) treten kann, statt sie herauszufordern. Wenn etwas so eindeutig verwerflich ist, ist kaum mehr nachvollziehbar, wie es überhaupt geschehen konnte.

Innerhalb dieser Perspektive wird deutlich, daß das Buch des Hamburger Politologen Peter Reichel über den Schönen Schein des Dritten Reiches auf einen Nervenpunkt unseres Verhältnisses zur Nazizeit zielt. Faszination und Gewalt des Faschismus lautet der Untertitel und zeigt an, daß das Buch sich auf ungemütliches Terrain begibt. Faszinationen nämlich werden nur plausibel, wenn man sich selber als ihr potentielles Subjekt zumindest vorstellen kann. Nicht nur über seine Schrecken, auch über seine Ästhetik rückt das Dritte Reich dem nachträglichen Betrachter noch auf den Leib: Daß das Schreckliche nicht nur Gegenstand des Abscheus, sondern auch des Genusses sein kann, dieser Gedanke ist deswegen irritierend, weil er das Feld möglicher Komplizenschaft plötzlich so unübersichtlich nahe rückt.

So ist denn auch im Vorwort weniger von den wissenschaftlichen als von den psychologischen Schwierigkeiten des Unternehmens die Rede. Wortreich werden da „Risiko“ und „Gefahr“ beschworen, daß nämlich „die beabsichtigte Rekonstruktion der Faszination umschlägt in eine faszinierte Rekonstruktion“. Wer über den Reiz des Bösen spricht, könnte ihm erliegen. An keiner anderen Stelle des Buches wird so klar, daß das Thema nicht nur historisch ist, sondern an verborgene Gefühlsbestände rührt, die offenbar für Wiederbelebungen anfällig sind.

Dabei ist Reichels Buch eine durchaus nüchterne historische Arbeit. Es will keine neuen Forschungsergebnisse vorweisen, sondern die vorhandenen zusammentragen zu einem umfassenden Überblick, der alle Bereiche der Selbstinszenierung der nationalsozialistischen Macht erfaßt. Denn erst in der Zusammenschau aller dieser Elemente wird Reichels These plausibel, daß der Faschismus „Politik in Terror und Ästhetik zurückverwandelte“.

Schon Walter Benjamin hatte ja — berühmtes Wort — die Naziherrschaft über ihre „Ästhetisierung der Politik“ charakterisiert (Reichel zitiert das mehrfach) und mit dieser Formel drauf hingewiesen, daß der schöne Schein unterm Faschismus seine traditionelle Isolation in der Kunst verlassen hat und unmittelbar zu Dekoration der sozialen Lebenswelten eingesetzt wurde. Diesem Ziel dienten indirekt Literatur, Kunst und Musik, ganz deutlich aber die Architektur: „Von den Bauten überträgt sich der Wille auf die Menschen selber“ — so hat Hitler sein Machtinteresse an der Bauästhetik formuliert. Die Architektur hatte den Raum und damit den Rahmen zu gestalten, innerhalb dessen das neue Verhältnis zwischen Führer und Volk sich abspielen sollte. Die Ästhetik wollte hier Gesellschaftsformationen ausdrücken und vor allem stimulieren, hinter denen die realen Klassenkonflikte vergessen werden konnten. Dazu dienten auch die großen opernhaften Inszenierungen der Parteitage und völkischen Feste, in denen sich in kunstvoll arrangierten Pseudoritualen der Schein einer Volksgemeinschaft, ein gesellschaftlicher Zusammenhalt herstellen lassen sollte, für deren Destruktion die Nazis in Wirklichkeit alles taten. Aber auch auf weniger Spektakuläres geht Reichel ein: auf die Filmpolitik wie auf die entstehende Freizeitindustrie durch die „Kraft durch Freude“-Produktgestaltung, die Förderung des Sports und auf den vielzitierten Bau der Autobahnen, der nicht nur funktionellen Sinn hatte, sondern in der Erschließung von Landschaften und der Veränderung des Gefühls für Raum und Zeit zur Inszenierung des Gesamtkunstwerks Deutschland beitragen sollte.

„Das Sein bestimmt das Bewußtsein, sagt Marx. Der Nationalsozialismus war der Versuch, dieses Verhältnis umzukehren.“ Reichel greift diesen Gedanken des Sozialhistorikers David Schoenbaum auf; und es zeichnet sein Buch aus, daß er diese Umkehrung nicht einfach populär als Manipulation beschreibt (ein Denkmodell, mit dem sich in puncto Verantwortung so unschuldig zwischen Opfern und Tätern unterscheiden läßt, daß denen, die man dann zu den ersten zählt, allenfalls Dummheit, nichts Schlimmeres vorgeworfen werden kann). Ihm geht es zugleich um „die Formen und Motive der Akzeptanz des Nazismus, seine Anziehungskraft für ein Massenpublikum“: Daß Naziideologie und -ästhetik einem tiefen Unbehagen in der neuzeitlich-aufgeklärten Gesellschaft entgegenkamen, daß sie einen kulturellen Protest gegen die Moderne formulierten, das ist Reichels grundlegende Idee zur Erklärung dieser umfassenden „Theatralisierung der Politik“ (Brecht). Leider führt er diesen Ansatz nur fragmentarisch aus und fällt in seinen Einzelanalysen immer wieder in ein simples Denkmodell von Täuschung und Selbsttäuschung (und damit doch wieder auf eine psychologisch nur etwas verfeinerte Manipulationsthese) zurück, mit dem sich leichter das Falsche des nationalsozialistischen Bewußtseinsnebel erklären läßt als eben das Faszinierende. Es ist nämlich sehr die Frage, ob die faschistische Ästhetik sich nur als täuschende Kompensation begreifen läßt, als Verschönerung der brutalen Wirklichkeit und Harmonisierung, die von den realen Zerstörungen ablenken sollte. Das „Haus der Deutschen Kunst“ in München etwa — berühmtestes Beispiel nationalsozialistischer Architektur — sollte gewiß nicht nur „Klassizität“ und „ewige Werte“ vorspiegeln, die man außerhalb der Fiktion schon lange verraten hatte.

Gerade der Monumentalstil in der

Fortsetzung Seite 16

Fortsetzung von Seite 15

Architektur (und nicht nur der) verdeckt nicht die Gewalt, sondern feiert geradezu die Unterwerfung unter sie. Das Riesenformat vieler Naziinszenierungen wollte gar nicht über den terroristischen Charakter des Regimes hinwegtäuschen, sondern Gewalt und Macht und Schrecken auch ästhetisch verklärt zum Ausdruck bringen. Die Bewunderung für solche Bauten wäre dann nicht Täuschung über den Terror, sondern wie immer sublimierte Teilnahme an ihm. Walter Benjamin hat geschrieben, daß im Faschismus die „Selbstentfremdung“ der Menschen jenen Grad erreicht habe, „der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt“. Reichel zitiert diesen Satz, bemerkt aber nicht, daß er zu seiner „Täuschungs- und Selbsttäuschungs“- Hypothese nicht paßt. Diese nämlich zielt dann doch wieder nur auf eine Beurteilung der Gefühle, die den Nationalsozialismus getragen haben, statt sie in ihrer Mixtur aus Harmlosigkeit und Brutalität zu beschreiben und damit aus dem Bereich der vorweggenommenen Moralisierungen herauszuholen, in denen ihnen von vorneherein die Giftzähne gezogen sind. Offenbar hat die Furcht vor diesem Gift die Interpretationsspielräume in diesem Buch eingeschränkt.

Und noch etwas: Die ästhetische Inszenierung der Wirklichkeit ist von den Nazis nicht erfunden worden und hat mit ihrem Untergang auch nicht aufgehört. Die gesellschaftlichen Konflikte, die Modernitätskrisen, die das Bedürfnis nach Ästhetisierung in Faschismus so verstärkt haben, sind gleichfalls nicht beigelegt. Kann man also über die faschistische Ästhetik rein historisch sprechen? Ergeben sich aus ihrer Analyse nicht Fragen, die mitten ins Herz der modernen westlichen Gesellschaften mit ihrer ästhetischen Überproduktion führen? Das Thema vom Schönen Schein des Dritten Reiches birgt — darauf deutet in Reichels Arbeit vieles hin — eine Fülle von untergründiger Aktualität und weist damit über dieses Buch weit hinaus.

Peter Reichel: Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus. Carl Hanser Verlag, München, Wien 1991, 452 Seiten, mit 50 Abbildungen; 68 DM.

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