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An der Front von Bernau

■ Dieter Hildebrandt gastiert mit »Wippchen oder die Schlacht am Metaphernberge«

Wenn ein Kommentator »Kugeln wie die Fliegen fliegen« läßt und man in Zeitungen erfahren kann, daß die »Verluste der Russen zwischen acht und unzähligen schwanken«, dann hat wieder einmal jemand ein Wippchen gelandet. Am Ende ist es gar ein Originalwippchen aus der Feder des Julius Stettenheim (1831-1916), dem Satiriker und Herausgeber der 'Berliner Wespen‘, der dort mit dem Pseudonym »Wippchen« eine scheinbar arglose Kolumne verfaßte. Unter dem Deckmantel der Harmlosigkeit kommentierte Wippchen das Geschehen seiner Zeit, der Zeit der deutschen Gründerjahre. Mit bewußt schiefen Metaphern, falschen Kaisergeburtstagen und durcheinandergewirbelten Dichterzitaten berichtete er aus der Reichshauptstadt oder von den fernen Schlachtplätzen der Kolonialkriege. Mit spitzer Feder ließ er kriegsberichtsweise ganze Armeen in erdachten Bergmassiven verschwinden, sich selbst in Gefangenschaft nehmen und hin und wieder sogar standrechtlich erschießen. Sein Krieg war die Schlacht am Metaphernberge. Er hielt sich darin wacker, humoristisch und hintersinnig.

Wen wundert's da, daß ein namhafter, ebenfalls humoristischer und hintersinniger deutscher Kabarettist jüngst auf die Idee kam, das Wippchen, dieses Prachtstück der politischen Satire, mit ebenfalls spitzer Feder auszugraben und für die derzeitigen Gründerjahre erneut dienstbar zu machen. Dieter Hildebrandt nahm sich der Hinterlassenschaft Stettenheims an, schrieb das Kabarettprogramm Wippchen oder Die Schlacht am Metaphernberge und besetzte sich selbst mit der Rolle des Wippchens.

Zusammen mit Renate Küster und Franz-Josef Grümmer (am Klavier) erzählt Hildebrandt eine rechte Wippchen-Heldentat. Um den Russisch-Türkischen Krieg aus nächster literarischer Nähe begutachten zu können, verlegt Wippchen seine Schreibstube in das von der Hauptstadt dreißig Kilometer entfernte Bernau. Dort logiert er 1877 in einer Bahnhofsgaststätte, läßt sich von der Wirtin Martha (Renate Küster) und Pianist Arthur (F.J. Grümmer) mal das Tintenfaß, mal das Frühstück und gern die Stichworte reichen, kommentiert täglich den Russisch- Türkischen Krieg, das Treiben der deutschen Großindustrie und die Machenschaften des Kaiserlichen Generalstabs. Seine Verlegerin Frau Dr. Brösan giert nach immer neuen »brauchbaren blutigen Zusammenstößen«, denn — und da zeigt Wippchen Verständnis — »Eine Zeitung ohne Greultaten ist schließlich ein Non minus ultra

Dieter Hildebrandt ist ein herrlicher Wippchen. Wie er da am kleinen Bahnhofstischchen Gefechte ersinnt, Schlachten beendet, erinnert an jene legendären Notizen aus der Provinz, die Hildebrandt seinerzeit von den Fernsehoberen untersagt wurden, weil die Zuschauer seine Satire womöglich für einen gewöhnlichen Magazinbeitrag halten könnten. Sie sind sich schon recht ähnlich, dieser Wippchen, der immer wieder sämtliche Versatzstücke humanistischer Bildung durcheinanderwirbelt, und dieser Dings ... dieser ... dieser — na, Sie wissen schon —, dieser Hildebrandt eben, der in seiner stotternden, beiläufigen Art die Kunst der kalkulierten Versprecher zum Markenzeichen seines Kabarettstils erhoben hat. So ist es dann auch ein Abend des Dieter Hildebrandt, eine Soiree des Könners, der hier mal ein wenig improvisiert — daß selbst seine Kumpane lachen müssen —, der dort ein wenig untertreibt — und damit immer die Zügel der Satire straff in der Feder hält. Oder so ähnlich...

Neben ihm wirken Renate Küster und Franz-Josef Grümmer wie Statisten der Geschichte. Sie machen sich zwar mit ihren diversen Rollen um die Schauspielkunst verdient, haben aber kaum Chancen zu mehr. Denn selbst wenn die drei hin und wieder den Geschichtsunterricht aussetzen und aus ihren Rollen schlüpfen, um, dem Geschmack des Publikums entsprechend, nebenbei auch Aktuelles aus dem Hause Stoltenberg oder vom Hofe Kohls anbieten, bleibt Dieter Hildebrandt der König des Abends. Die angekündigte Verschränkung der beiden geschichtsträchtigen Epochen gelingt trotzdem weder ihm noch den anderen. Zu wenig radikal werden die historischen Vergleiche von Reichsgründung und Einig Vaterland gegeneinander aufgerechnet. Andeutungen bleiben Andeutungen, Geschichte bleibt Geschichte.

»Um der Wahrheit die letze Ölung zu geben, ich bin des Mordens müde«, sagt Wippchen Hildebrandt am Ende des Premierenabends und gibt für heute die Feder ab. Damit ist die Schlacht am Metaphernberge geschlagen, das Publikum geht, wenn auch nicht geläutert, so doch zufrieden nach Hause. Und wippt sich eins. Klaudia Brunst

»Wippchen«: noch bis zum 9. Mai Di., Mi., Do., So. um 20.30; Fr. und Sa. um 19 Uhr bei den Wühlmäusen, Nürnberger Straße 33.

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