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Eine konservative Ecke geblieben

■ Bei all den Künstlern und Intellektuellen, die am Heinrich-Mann-Platz gelebt haben, wäre er zum Ort der Boheme prädestiniert gewesen/ Die Pankower »Szene« vermag er jedoch nicht anzuziehen

Niederschönhausen/Pankow. Der erste Eindruck täuscht. Friedvoll und unaufdringlich scheint sein Dasein, wenig aufregend zwar, jedoch eine kleine Oase der Erholung in vornehmer Gegend — der Heinrich- Mann-Platz in Niederschönhausen. Von wegen. Spätestens wenn das erste Flugzeug über den Kopf hinweggedonnert ist und kurz darauf das zweite, geht dem Spaziergänger ein Licht auf, warum er der einzige weit und breit ist: Niederschönhausen liegt genau unter der Einflugschneise des Tegeler Flughafens. Der Lärm hat wohl nicht nur die Vögel verschreckt.

Dennoch hat der Platz etwas diffus Faszinierendes. Er ist symmetrisch angelegt und wirkt regelrecht »durchgestylt«. Ein offensichtlich um kühle Ästhetik bemühter Stadtplaner, Name leider unbekannt, hat sich hier vor 90 Jahren mit Zirkel und Lineal versucht. Bereits auf dem ersten Bebauungsplan für diese schon immer teure Wohngegend von 1903 erscheint der damalige »Hohenzollernplatz« als das, was er heute noch ist: eine kreisrunde Grünfläche, um die herum großzügig verteilt schöne Villen stehen.

In Richtung des Kreisels führen vier — rechtwinklig zueinander stehende — Straßenzüge. Sie weisen allerdings nicht in die vier Himmelsrichtungen, wie zu erwarten gewesen wäre. Würde man sie über das in der Mitte des Platzes liegende runde Stiefmütterchenbeet hindurch verbinden, ergäbe sich ein Wegkreuz zweier Straßen: der heutigen Heinrich-Mann- sowie der Leonhard- Frank-Straße.

Die Grünfläche des Platzes unterteilt sich in einen inneren und einen äußeren Ring. Die größere Außenfläche besteht nur aus Wiese, wenigen Kiefern und vier von Linden umsäumten Wegen, die als Verlängerung der Straßen auf das Blumenbeet hinführen. Auch um dieses ist ein kreisrunder Spazierweg angelegt. Das Besondere des Platzes sind die 50 Jahre alten Pappeln. Sie bilden einen schützenden Ring um die Innenfläche, wirken allerdings recht mitgenommen.

Wahrscheinlich ist dies das Resultat der Automassen, die hier zu DDR-Zeiten um den Platz herumknatterten. Die Heinrich-Mann-Straße ist nämlich wichtigste Verbindung in den Norden nach Wilhelmsruh. Genauer gesagt zum wichtigsten Arbeitgeber der Pankower, der Bergmann-Borsig AG. Nach der Wende hat sich der Verkehr, entsprechend der Arbeitnehmerzahl des Betriebes, reduziert. Er reicht jedoch nach wie vor aus, um vom Verweilen auf den Bänken abzusehen.

Wer Entspannung sucht, geht lieber in den am unteren Ende der Heinrich-Mann-Straße gelegenen Bürgerpark. Er wurde bereits 1906 eröffnet. Damit war die Funktion des Platzes von Anfang an auf die eines »Schmuckstückes« für die Wohngegend der Reichen und Privilegierten festgelegt. Er war sozusagen in die Heide »hineingeplant« worden, um diesen beliebten Ausflugsort und Sommersitz der reichen Berliner für den »außergewöhnlich ansteigenden Verkehr« zugänglich zu machen.

Die verdeckte Zweckfunktion erklärt auch, warum sich über die Jahrzehnte hinweg fast nichts an diesem Ort verändert hat. Einzig der Name wurde zweimal gewechselt, 1937 in Seckendorfplatz und 1951 in Heinrich-Mann-Platz. Selbst die Büste des letzten Namensgebers ist nicht mehr hier, sondern im Bürgerpark zu finden. Während sich drumherum das Rad der Geschichte weitergedreht hat, befand sich der Platz selbst weiterhin im Tiefschlaf.

Da wären die ehemaligen Gebäude der SED in der Heinrich- Mann-Straße 31. Sie waren Ende der zwanziger Jahre als Altenheim geplant und nur wenige Jahre als solche genutzt worden. Im Krieg wurden die Bewohner evakuiert, gegen Kriegsende zog die Rote Armee, später die Polizei ein. 1956 schließlich erhob die SED Anspruch auf die Räume und richtete das »Internat der Parteihochschule« mit 500 Betten ein. Erst mit dem Mauerfall wurden die Gebäude ihrem ursprünglichen Zweck übergeben.

Oder die »Erich-Weinert-Siedlung«. Dieses 1950 »künstlich angelegte Künstler- und Intellektuellen- Viertel grenzt im Nordosten an den Heinrich-Mann-Platz. Hier wohnten aus dem Exil zurückkehrende Vertreter der sozialistischen Literatur und Kunst. Entsprechend ihren Bedürfnissen wurden extra Wohn- und Arbeitsräume geschaffen. So bekam die Bildhauerin Ruthild Hahne ein besonders hohes Atelier. Diese Künstlerin und »der« Sportjournalist der DDR, Heinz-Florian Oertel, sind einige der wenigen, die hier noch wohnen. Die Schriftsteller Erich Weinert und Willi Bredel, der Maler und Pressezeichner Max Lingner, der Komponist Hanns Eichler leben längst nicht mehr.

Auch Heinrich Mann hatte eine Wohnung in der Siedlung. Schließlich galt er, der erste Nationalpreisträger der DDR (1949), als repräsentativer Schriftsteller der sozialistischen Literatur. Doch starb er 1950 als 79jähriger in Santa Monica/Kalifornien, wohin er über die Tschechoslowakei und Frankreich vor dem Faschismus geflogen war; noch bevor er aus der Emigration zurückkehren und als erster Präsident der Deutschen Akademie der Künste eintreten konnte.

Selbst wenn die Gegend um den Heinrich-Mann-Platz mit ihren vielen Kulturschaffenden für kritische und lautstarke Auseinandersetzung prädestiniert gewesen schien, ist sie immer eine konservative und stille Ecke geblieben — heute vielleicht noch mehr als früher. Denn ihren Charakter als Elitesiedlung hat sie »mangels Masse« verloren. In den Häusern wohnt mittlerweile die nachkommende Generation, nicht zwangsläufig Künstler wie die Eltern. Die Pankower »Szene« spielt sich am entgegengesetzten Ende des Stadtteils ab.

Dafür hat dieses Gebiet seinen Charakter als »Zehlendorf des Nordens« über die Jahrzehnte hinwegretten können. Hier haben schon immer Privilegierte gewohnt — angefangen 1910 mit dem ersten Bewohner am Platz, dem Likörfabrikranten R. Bock. Deshalb können sich die ausländischen Botschaften, in der südlichen Hälfte des Heinrich-Mann- Platzes angesiedelt, auch nur noch mit Mühe halten — wenn überhaupt. Zu DDR-Zeiten mußten sie keine Miete zahlen, jetzt haben sie mit steigenden Kosten zu kämpfen. Anders als die Botschaft von Mali, die im Dezember dichtmachen mußte, soll die guinesische Außenstelle aber nicht aufgegeben werden — obwohl der Staat, in dem sie ihr Land repräsentierten, die DDR, nicht mehr existiert. Aber sie halten hier gewissermaßen die Stellung, bis zum Wechsel des Regierungssitzes nach Berlin. Daher arbeitet und wohnt hier gleichzeitig — um zu sparen — auch nur noch Botschafter Barry Abdoulaye. Das zehnköpfige Personal wurde entlassen.

Abdoulaye findet die Gegend um den Heinrich-Mann-Platz angenehm, den »es gibt so viel Grün ringsum«. Wenn er sich erholen will, meidet er allerdings den Platz vor der Haustür. »Der Lärm ist lästig.« Sonja Striegl

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