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Idiot in wahrer Maske

■ Eine Schnittke/Jerofejew-Uraufführung im Muziektheater Amsterdam

Nachdem sich am vergangenen Montag im Amsterdamer Muziektheater zum Einzug der Königin das Publikum von den Plätzen erhoben hatte, verlosch alles Licht im Saal, und mit hörbarer Mechanik öffnete sich der Vorhang zu der Uraufführung von Alfred Schnittkes erster Oper Life with an Idiot: Eine groteske, sehr russische Wärterfigur mit Laterne schlurft suchend durch die Szenerie eines Gogolschen Nachtasyls, mit seltsamen, zu einem Tableau erstarrten Gestalten. Auf der Seitenbühne ist er fündig geworden und zieht an der Hand den Dirigenten, Mstislaw Rostropowitsch zur Rampe, wo er aus seinem schmutzigen Tragebeutel Taktstock und Partitur kramt und sie feierlich dem prominenten Maestro überreicht. Applaus. Das Spiel kann beginnen.

„Das Leben mit einem Idioten ist voller Überraschungen“, singt der Chor (auf russisch), und gemeint sind „Ich“ und „Seine Frau“, die durch widrige Umstände Wowa, den Idioten, bei sich zu Hause aufnehmen müssen, da „Ich“ sonst Schwierigkeiten mit der Partei bekommen würde. Wowa gibt einzig ein vielfältig gefärbtes „Ech“ von sich und bald zum Ensetzen der beiden sein gesittetes Benehmen auf. Was folgt, ist eine wüste ménage à trois, in deren Verlauf der Idiot zunächst Liebhaber „Seiner Frau“, dann des „Ichs“ wird. Es endet mit dem Frauenopfer, und „Ich“ — des Mordes für schuldig befunden — wird dorthin verbannt, von wo Wowa kam, ins Irrenhaus.

Was sich in der szenischen Realisierung durch den „grand old man“ des russischen Musiktheaters, den achtzigjährigen Boris Alexander Prokowski, als problematisch andeutet, ist nicht zuletzt bedingt durch die formale Anlage des Librettos. Der im Westen durch seinen Perestroika-Roman Die Moskauer Schönheit bekannt gewordene Viktor Jerofejew schuf damit die Dramatisierung einer eigenen aus den frühen Achtzigern stammenden Erzählung. Die Umsetzung bedient sich bewußt collagierender Elemente, vor allem immer wieder der Mittel des epischen Theaters. Etwas angestaubt wirkt auf uns heute, was da die Bühne mit dem systematischen Einsatz dramaturgischer Techniken wie Chor- Kommentar, Spruchband, Aus-der- Rolle-Fallen und dem Bloßlegen des theatralischen Apparates aufbietet. Und dann gibt es da noch die verschlüsselten Parallelen, die — wie von Russen versichert wird — jeder sowjetische Bürger sofort verstanden hätte. Bloßen Anspielungen konnte man sich jetzt versagen, der Idiot zeigte sich in seiner wahren Maske — Lenin! Doch die Vermittlung dieser relevanten Bedeutungsebene wurde nicht weiter ausgereizt. Auch Ilja Kabakow, heimlich gefeierter Star des Avantgarde-Untergrundes der Breschnjew-Ära, bleibt mit seiner kargen, eher auf das Kostüm konzentrierten Ausstattung auf der Bühne merklich blaß. Schon die im Programmheft abgebildeten, in markanten Farben gehaltenen Figurinen wirken kräftiger.

Wie oft bei Alfred Schnittke und geradezu gefordert durch die Anlage des Librettos, hat der Komponist eine immer wieder sich selbst reflektierende Musik — mit den Worten Henzes „Musik über Musik“ — erfunden. Doch es ist ein neuer Ton in ihr. Den Versuchungen des Genres erliegt Schnittke kaum, er greift nicht auf die bewährten Darstellungen des Wahnsinns zurück. Der mit seinem Werk so eng verbundene Aspekt der Polystilistik tritt im Verlauf der Oper zunehmend in den Hintergrund. Ausdruck der Szene und Gesangslinien haben Priorität, das Orchester scheint der oft melismatischen Stimmbehandlung (die Rolle „Seine Frau“ ist mit einem dramatischen Koloratursopran besetzt) nachgeordnet, ohne allerdings an Charakter einzubüßen. So gibt es in jedem Akt ein ausdrucksvolles Orchester-Intermezzo mit solistischem Violoncello, das zu spielen sich Rostropowitsch selbstverständlich nicht vergab. Doch gegen Ende dünnen sich Satz und Fraktur immer mehr aus, spröde floskelhafte Klänge von der Lakonie eines Luigi Nono bringen einen verdeckt tragische Zug ins Spiel.

Der Schluß des Werkes ist zweifelsohne gelungen. Die drei Stimmen von Wowa, „Ich“ und „Seine Frau“ lösen sich in ostinaten Bewegungen vom verstummenden Orchester, umkreisen einander a cappella, zerbröckeln, verlöschen einer nach dem anderen, bis ein — so scheint es — unhörbar sich schließender Vorhang letzte Töne ersterben läßt.

Dem nur zögernd sich zeigenden Komponisten dankte das Publikum mit stehenden Ovationen, in die das Philharmonische Orchester Rotterdam, der Dirigent und besonders die drei Protagonisten, der herausragende Dale Duesing (Ich), Teresa Ringholz (Seine Frau) und Howard Haskin (Wowa) einbezogen waren. Götz Thieme

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