: Lauter Affen
■ Alexander Lang feiert sein Comeback am Deutschen Theater Berlin
Es ist schon seltsam. Das Deutsche Theater prangt als strahlender Stern am Theaterhimmel im Osten Berlins. Doch kaum geht der Hausherr, Thomas Langhoff, im Schiller Theater im Westen fremd, verläßt ihn der Glanz. Ein mißratener Ausflug (Böhmen liegt eben doch nicht am Meer), aber immerhin ein Achtungsmißerfolg, handelte es sich schließlich um die Uraufführung eines Volker-Braun-Stückes. Der wollte zwar viel, konnte aber nichts zu den gewendeten Seiten im Geschichtsatlas beitragen.
Einem anderen fiel bald und schnell etwas dazu ein. Einem flinken Schreiber aus dem Westen. Klaus Pohl, der sich über Stasi, spezielle und gemeine Spitzel bereits im vergangenen Jahr hergemacht hat. Aber auch das ist seltsam: das Stück eines Westlers über das Thema, an ostdeutschen Bühnen bislang so gut wie nie gespielt. Nun aber kehrt der ansonsten so glücklose Hausherr am Schiller Theater, Alexander Lang, an seine einstige Wirkungsstätte zurück. Eben jenes Deutsche Theater, von wo er einmal weggeekelt wurde. Dort inszeniert er Pohls Karate-Billi kehrt zurück. Der neue Erfolgsstern des Hauses zeigt sich ihm gewogen: Das Publikum feierte ihn und seine Schauspieler. Nach so einigen Mißerfolgen im eigenen Haus muß ihm dies eine Genugtuung sein. Auch das eine kleine böse Ironie der Geschichte.
„Die DDR war ein Land in Mitteleuropa“ heißt es zu Beginn (ein Einfall des Regisseurs). Der Bankmann Max von Stahl (natürlich ein Kredithai aus dem Westen) blättert im Lexikon. Er weiß noch andere und konkretere Details zur Geschichte des bald vergessenen Landes hinzuzufügen, zum Beispiel, daß „fast ausschließlich Deutsche“ dort wohnten. Der zugereiste von Stahl trifft auf einen Einheimischen, Waldemar Urban, der ihm alles über das kleine ungenannt bleibende Kaff im Osten Deutschlands zu berichten anbietet. Einen „Stimmungsbericht“ nennt er das mit seinem Neudeutsch, früher war der ortsbekannte Mann von Beruf Spitzel. Und wie sich im Verlauf des Stücks herausstellen wird: der einzige mit einer gewissen politischen Überzeugtheit. Was ihn ein bißchen sympathischer als die anderen im Stück macht.
Karate-Billi war einst ein Spitzensportler der DDR. Als er wegzugehen drohte, wurde er statt in den Knast in die Psychiatrie gebracht. Nach der Vereinigung der beiden Deutschlands („Das erzähl ich dir später, es ist ja soviel passiert“, sagt die Schwester zu dem verdutzten Mann) wird er entlassen, und in Begleitung seiner Schwester kehrt er in das Dorf zurück, das ihn vor dreizehn Jahren in die berüchtigte Villa abtransportiert werden sah. Alle sind sie in Karate-Billis Fall verstrickt, wie sich später herausstellen wird: der wendige Bürgermeister und seine zickige Frau, der Pastor und selbst die ihn ständig bevormundende Schwester Greta. Eine kollektive Schuld, aber keine Kollektivverschwörung. Jeder hat ein bißchen was gewußt und ein bißchen dran gedreht. Die Motive waren rein persönlicher Natur, individuelle Angelegenheit. Gemein, klein und niederträchtig. Daß dem so war, rollt Karate-Billi erst im zweiten Teil des Abends auf: Da rückt er mit dem Messer den Anwesenden auf den Leib. Vorher aber findet die quälende Rückkehr des abgehalfterten Helden in die Runde der verstockten Herzen statt. Alexander Lang dehnt die Qual gewaltig, bloß der ewige Spitzel kaspert seine Nummer herunter.
Alle finden sich ein (in der Kneipe, wo sonst) — und nur die Servierfrau Sascha ist eine Außenseiterin und steht damit automatisch auf Karate-Billis Seite. Der spielt den Affen, den Verrückten, das Kind; Jörg Gudzuhn ist groß, hager, mit viel zu langen Armen, die genauso gut umarmen wie würgen möchten. Im Geiste ein Kind, aber gutmütig; am Ende lädt er die andern zum Feiern ein. Die Nachsicht wird ihm schlecht gedankt: Die Männer in den weißen beziehungsweise grünen Kitteln holen ihn erneut. Für Leute, die es genau wissen wollen, ist auch in der neuen Gesellschaft kein Platz.
Alexander Lang inszeniert das Stück mit dem reichlich aufgesetzten Schluß (der Spitzel fällt tot vom Stuhl, weil jemand die Ehre seiner Tochter retten will) in gewohnt theatralischer Manier, aber ohne jene schrillen Akzente, die seinen Inszenierungen sonst schnell zu eigen sind. „So schlecht kann man die Menschen gar nicht machen, wie sie sind“, meinte Spitzel Urban ziemlich zu Anfang. Man muß sie auch nicht zynischer und nicht besser machen, daran hat sich Lang gehalten. Sabine Seifert
Klaus Pohl: Karate-Billi kehrt zurück. Regie: Alexander Lang. Bühne: Caroline Neven Du Mont. Mit Jörg Gudzuhn, Christine Schorn, Horst Hiemer, Udo Kroschwald, Johanna Schall, Horst Weinheimer, Kurt Böwe, Simone von Zglinicki. Deutsches Theater Berlin. Nächste Aufführung: 29.April.
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