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Recht auf Abtreibung von Rollback bedroht

■ Seit dem "Roe gegen Wade"-Urteil von 1973, mit dem das Grundrecht auf Abtreibung in der Verfassung verankert wurde, versuchten Amerikas Lebensschützer alles, die Legalisierung rückgängig zu...

Recht auf Abtreibung von Rollback bedroht Seit dem „Roe gegen Wade“-Urteil von 1973, mit dem das Grundrecht auf Abtreibung in der Verfassung verankert wurde, versuchten Amerikas Lebensschützer alles, die Legalisierung rückgängig zu machen. Zumindest deftige Einschränkungen stehen beim derzeit konservativ besetzten Gremium an.

AUS WASHINGTON MARTINA SPRENGEL

Wenn der US-Supreme Court am heutigen Mittwoch, über achtzehn Jahre nachdem er das Recht auf Abtreibung in der Verfassung der USA verankert hat, einen Fall anhören wird, der eben diese historische Entscheidung aufheben könnte, wird sich Harry Blackmun als einziger ganz genau an das Urteil von 1973 erinnern können. Als Juniormitglied des Obersten Gerichts hatte der heute 83jährige damals die schriftliche Urteilsbegründung im Präzedenzfall „Roe gegen Wade“ formuliert. Blackmun, der 1970 von Richard Nixon als dritte Wahl — zwei andere Kandidaten scheiterten am Senat — berufen worden war, galt bis dahin als eher konservativ. Um so überraschender erscheint es rückblickend, daß ausgerechnet er es war, der die Entscheidungsfreiheit der Frau sogar zum verfassungsmäßig garantierten Grundrecht erhob. Kein Staat, kein Ehemann und kein Arzt sollten ihr bei diesem sehr persönlichen Entschluß reinreden können. Die Abtreibungsbefürworter bejubelten damals die 7:2-Entscheidung der Obersten Richter und glaubten sich fortan sicher. Doch die Pro- Life-Aktivisten setzten in den Jahren danach alle Hebel in Bewegung, die „Roe-Entscheidung“ zu revidieren.

Ein 1989 im Bundesstaat Pennsylvania verabschiedetes Gesetz mit wesentlichen Einschränkungen des Rechts auf Abtreibung hat sich langsam durch die richterlichen Instanzen hochgearbeitet und liegt jetzt den Obersten Richtern in Washington vor. Während die in dem Gesetz verankerten Bestimmungen noch vor wenigen Jahren aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Supreme Court zurückgewiesen worden wären, sind sich heute beide Seiten im Abtreibungsstreit sicher, daß der „Pennsylvania Abortion Control Act“ der neuerlichen Begutachtung weitgehend standhalten wird. Dank der Besetzungspolitik der Präsidenten Reagan und Bush befindet sich der Oberste Gerichtshof fest in der Hand der Abtreibungsgegner, lediglich zwei der insgesamt neun Richter werden das „Roe-Urteil“ verteidigen.

Neue Hürden erschweren die Prozedur

Wohl eher aus politischer Rücksichtnahme denn aufgrund juristischer Zweifel wird sich der Supreme Court in seiner Ende Juni, Anfang Juli erwarteten Entscheidung aber möglicherweise um die eigentliche Frage — bleibt „Roe“ als Rechtsgrundlage erhalten oder nicht — herumdrücken. Weil das Pennsylvania-Gesetz Abtreibungen lediglich einschränkt, ohne sie ausdrücklich zu verbieten, muß das Gericht seine Schlußfolgerung in „Roe gegen Wade“ — daß die Einzelstaaten Abtreibungen nicht zu einem Verbrechen erklären dürfen — nicht unbedingt revidieren. Dieser Frage müssen sich die Obersten Richter erst im kommenden Jahr widmen, wenn Gesetze aus Louisiana, Utah und dem Territorium Guam (Flottenstützpunkt im Pazifik, seit 1898 dem US-Innenministerium unterstellt) — wo Abtreibungen etwa unter Androhung von zehn Jahren Arbeitslager für den Arzt untersagt sind — ihre Schreibtische erreichen.

Erwartungsgemäß wird der Supreme Court die im „Pennsylvania Abortion Control Act“ vorgesehenen Hürden — Beratungsgespräch, 24 Stunden Wartezeit zwischen Beratung und Eingriff, Mitteilung an den Ehemann und an die Eltern im Fall eines Teenagers — durchgehen lassen und vielen Frauen die ganze Prozedur erschweren. Der den Bundesstaaten 1989 mit der Entscheidung im Fall Webster zugestandene Spielraum bei der Einschränkung ihrer Abtreibungsrechte — solange den Frauen keine „unangemessene Last“ entstehe — wird damit weiter vergrößert und der Kreis jener Frauen, die in den Genuß des in „Roe gegen Wade“ kodifizierten Grundrechts kommen, verkleinert.

Die Aussicht, daß die höchstrichterliche Entscheidung die weitere Gültigkeit von „Roe gegen Wade“ bewußt im unklaren lassen wird, bereitet der Pro-Choice-Bewegung (wie sich Abtreibungsbefürworter in den USA nennen) schon jetzt Kopfschmerzen. Ihnen wäre ein klares Nein zu „Roe“ so kurz vor den Präsidentschaftswahlen vom November 1992 am liebsten. Sie setzen darauf, daß die Angst vor einem Verlust des liberalen Abtreibungsrechts ausreichend viele republikanische Wählerinnen ins demokratische Lager treiben und so die Wiederwahl von George Bush, dem erklärten Verteidiger des ungeborenen Lebens, verhindern würde. Denn nachdem die Pro-Choice-Leute ihren Kampf in den Gerichten so offensichtlich verloren haben, setzen sie nun alle Energien daran, mit einer Gesetzesinitiative im Kongreß das in „Roe“ kodifizierte Recht zu bewahren. Solange der Republikaner George Bush jedoch im Weißen Haus sitzt, kann er den sogenannten „Freedom of Choice Act“ mit seinem Veto verhindern, weil den Demokraten noch die notwendige Zweidrittelmehrheit fehlt, um ihn zu überstimmen.

Starre Haltung schadet Bushs Republikanern

So sehr sich die Republikaner auch bemühen, die Bedeutung der Abtreibungsfrage bei den Präsidentschaftswahlen herunterzuspielen — selbst in ihrem Lager bleibt da ein letzter Rest an Unsicherheit. Immer lauter werden die Stimmen jener, die glauben, daß die starre Antiabtreibungslinie der Partei mehr schadet als nützt. Ein Streit über die Wahlplattform, die jetzt noch einen Verfassungszusatz propagiert, der Abtreibungen ausdrücklich verbieten soll, und dazu aufruft, Richter zu ernennen, die für die „Unantastbarkeit des menschlichen Lebens“ eintreten, scheint auf dem kommenden Parteitag im August programmiert.

Mit ihrem Kandidaten Bush stecken die Republikaner in einem Dilemma. 1980 hatte sich der ehemalige Verfechter des Selbstbestimmungsrechts von Frauen als Vizepräsident von seinem Chef Reagan auf die Anti-Linie einschwören lassen. Eine Rückbesinnung auf alte Werte kann er sich nicht leisten. Es würde bei den Wählern nur böse Erinnerungen an das gebrochene Wahlversprechen: „Seht auf meine Lippen, keine neuen Steuern“ wecken und ihm den letzten Rest an Glaubwürdigkeit nehmen. Im übrigen will Bush natürlich nicht die Fundamentalisten am rechten Rand seiner Parei verärgern, wo er doch im Rennen um die Kandidatur gerade erst seinen Noch-Konkurrenten Pat Buchanan abgeschüttelt hat. Doch schon heute prophezeien kluge Beobachter, daß die Republikaner in vier Jahren mit einem Pro-Choice-Kandidaten antreten werden. Schließlich wollen sie die wirtschaftlich konservativen, aber in sozialen Fragen liberal angehauchten Yuppies nicht an die Demokraten verlieren.

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