: Telefonterror aus verschmähter Liebe?
■ Vor dem Amtsgericht: Telekom, Zwischenmenschlichkeit und Haß
Extrem beanspruchte Fingernägel infolge übertriebener Wählscheibenbenutzung waren bei der Angeklagten Ursel B. (47), die gestern vor dem Amtsgericht wegen Körperverletzung angeklagt war, nicht auszumachen. Vorgeworfen wurde ihr, drei Jahre lang eine Frau und einen Mann durch permanentes Anrufen so malträtiert zu haben, daß deren körperliches Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt wurde.
Um die vermutliche Telefonterroristin und ihre beiden Geschädigten, den technischen Angestellten Friedel B. und die kaufmännische Angestellte Dirtje D., entspinnt sich eine Geschichte von den Abgründen zwischenmenschlicher Beziehungen, wie sie sich ein Billigromanschreiber gruseliger nicht ausdenken kann.
Ursel B., verheiratet, und Friedel B. lernten sich 1987 kennen und womöglich lieben. Das gab Frau B. allerdings vor Gericht nicht zu. Jedenfalls gab es 1988 einen Bruch zwischen den beiden, der weitreichende Folgen haben sollte: Fortan überschütteten sie sich gegenseitig mit Strafanzeigen. Sie habe sein Haus mit Farbbeuteln beworfen; er habe ihre Mutter bedroht; sie habe ihm die Frontscheibe seines Autos zertrümmert; er habe von ihr auf einer Party unerlaubt Nacktfotos gemacht und bei ihr im Hausflur aufgehängt; bei der geplanten Herausgabe der Negative habe er sie auf der Straße angegriffen und geschlagen, wofür er zur Zahlung von 700 Mark Schmerzensgeld verurteilt wurde. Sie wiederum habe den Lack seines Autos zerkratzt, und hier trat Dirtje D., eine Nachbarin von Friedel B., in die Geschichte ein.
In einem Prozeß wegen der Lackbeschädigung trat Dirtje D. als Zeugin gegen Ursel B. auf, sagte allerdings aus, daß sie im Grunde nichts gesehen hatte. Doch da ging es los mit dem Telefonterror. Drei Jahre lang hat sie die Anrufe — es klingelt, sie hebt ab, niemand meldet sich — peinlich genau aufgeschrieben: bis zu 28 Anrufe habe es in 12 Stunden gegeben. Warum hat sie sich nicht eine Geheimnummer geben lassen und erst vor einem halben Jahr einen Anrufbeantworter angeschafft? „Och nee, aus Prinzip.“ Aber wer das nun war, das wollte sie dann mal genau wissen und beantragte bei der Telekom eine Fangschaltung. Und siehe da: Die Anrufe kamen tatsächlich von dem Anschluß von Ursel B.'s Familie.
„Jaaa...von diesem Anschluß“, gab diese gestern gedehnt zu, „aber ich habe die Anrufe nicht getätigt. Ich möchte aber nicht sagen, wer's war, um nicht noch mehr Unruhe in meine Familie zu bringen.“ Und mehr oder minder geschickt ließ ihr Rechtsanwalt durchblicken, daß die Mutter der Angeklagten sowohl Zugang zum Telefonanschluß als auch um acht Ecken ein Motiv haben könnte... Doch, leider, leider, kann die 85jährige aus gesundheitlichen Gründen nicht vor Gericht geladen werden.
Ist es verschmähte Liebe? Wer hatte oder hat was mit wem und warum? Der Richter setzte das Verfahren aus, um „mal zu sehen, was passiert“: Mit der Androhung, bei der Telekom auf eine Kündigung des Anschlusses hinzuwirken und die Angeklagte psychologisch untersuchen zu lassen, entließ er die unerbittlichen StreiterInnen. Und mit einem Appell an die versammelte Familie der Ursel B.: „Da offensichtlich alle wissen, wer es ist — wirken Sie darauf ein, daß das aufhört!“ skai
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