Postsozialistische Trauerarbeit

■ Barbara Thalheim mit ihrer Musikrevue »Letzte Station vorm Himmel« im Maxim Gorki

Ich verstehe mich durchaus als politische Künstlerin«, erklärte die DDR-Liedermacherin Barbara Thalheim zu Vor-Wende-Zeiten. »Kunst interessiert mich vor allem, wenn sie die Jetztzeit reflektiert. Das kann nicht unpolitisch sein. Was ich einzubringen habe in meine Lieder: fast 40 Jahre Auf-der-Welt-Sein, in der DDR leben, Schule, Lehre, Beruf, Berufung, Suchen, Finden, wieder Suchen, Aufstieg und Fall — das ist ein unendliches Arsenal an politischen und sozialen Erfahrungen.«

Und nach der Wende? Da kann die Erfahrung, die sozialistisch geprägte, doch nicht unpolitisch geworden sein. Im Gegenteil! Im Maxim Gorki Theater trat Barbara Thalheim allerdings letzten Montag mit ihrer Band im Bademantel der abgehalfterten Rentner auf. Vier lustig röchelnde Gestalten, die sich plakativ ins metaphorische Altersheim begeben haben, um aus dieser festen Burg mit satirischem Effet geistreich zu raunzen.

Rückzug? Aufgabe? Sicher nicht. Eher eine Art Notwehr, gegen den Zug der Zeit, der die sich zu lang Besinnenden unversehens ins Abseits drängt. Die letzte Station vorm Himmel ist offensiv ins Komische ge- wendet: das Altenteil ist aufgezwungen und den ins Greise gewendeten Gestalten platzt die Jugend aus allen Nähten. Irgendwann fällt dann auch mal der muffige Bademantel als aufgedrücktes Requisit ganz weg und die Stimme singt bekennend kräftig Lieder.

Die vier Bremer Musikanten nennen sie sich gern und meinen damit das Störrische. Sie fragen sich: Was machen wir hier eigentlich? — um dann zur großen Rückschau anzusetzen auf die gewagten Halsen der definitiv abgeschlossenen, sozialistischen Titanic-Reise. Da werden noch einmal alte DDR-Nischen beschworen: Von Klokeramik ist die Rede, von Zeltberechtigungsscheinen, von Betonschreibtischen und Intershopdüften. Stalin und Sex mit Hühnern gerät in unmittelbare Nähe. Hammer und Sichel kommen auch noch einmal zum Gefecht gegeneinander hervor.

Dagegen steht jetzt: der Weiße Riese, der mit Westgeld den kleinen Ostler reinzuwaschen trachtet. Der kleine Ostler, ungeübt in Geldsachen, verkauft sich im Westen schlecht — so die vielbelegte Einsicht des Liederabends. Zwischendurch dann immer wieder lustige Verkehrung der nicht mehr geglaubten Märchen. Zum Beispiel das von der Tochter, die einst Stroh zu Gold spinnen konnte: »Soll ich alles Geld der Bundesbank zu Stroh spinnen?« — heißt die Drohung nun. Fuck your money ist ein gern zitierter Spruch, den der Mann am Baß, sich immer wieder selbst verbietend, doch nicht unterdrücken kann. Das Geld als Korruptionsmittel Nr. 1 — ist das für das sozialistisch aufgewachsene Herz tatsächlich so ganz, so schrecklich neu?

Ich muß gestehen, seit jeher macht mir die Bekenntnissingerei, wo immer sie sich ereignet, Probleme, und an diesem Abend kam zum Gefühl des allgemein schlechten Voyeurismus noch das des peinlich berührten. Soviel Larmoyanz hatte ich nicht erwartet, und die Decke der zynischen Brechung kam mir äußerst dünn vor. »Wir sind wie Falschgeld auf Erden« mußte ich da ziemlich laut hören und leiser, daß man sich damit nicht abfinden kann und darf. Laut brüllt es »Deutschland« und leise das »ich lieb' dich doch«.

Natürlich war da auch mehr. An Gefühl: die tief lodernde, um Ehrlichkeit nicht verlegene Stimme Barbara Thalheims. An Können: das engagierte Musizieren und Spielen ihrer Mitstreiter. An Spaß: das herrlich komödiantische Unterspielen aller Beteiligter.

Widerspricht es dem Charakter solcher Begegnungen, daß ich mir etwas weniger Besinnlichkeit und »renitente Retrospektive« und dafür mehr Standpunkt und Zukunftsperspektive in den mit Verve vorgetragenen Szenen und Strophen erwartet hätte? Etwas mehr als den flachen Reim auf das besoffene Bonner Politvolk: »Trinker an die Macht/ Auf zur letzten Schlacht/ Deutschland werde blau/ Grüß dich, alte Sau...« darf man wohl verlangen. baal