Epilog: Versöhnt wird nicht

■ Zum definitiv letzten Mal: Die Filmreihe im Rahmen der »Jüdischen Lebenswelten«

Noch bis zum 26. April zeigt das Arsenal im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus von Mittwoch bis Sonntag um 17 und 20 Uhr jüdische Filme aus verschiedenen Ländern. Ein Teil der Filme wird im Arsenal wiederholt.

Das Schlußlicht des Programms bilden zunächst einmal die beiden letzten jüdischen Filme, die in Polen gedreht worden sind: Alexander Martens On A Hejm (Ohne Heim, 1939), und Nathan Gross' Mir Lebn Gebliebene (1948).

On A Hejm zeigt die Grande Dame des jiddischen Kinos, Ida Kaminska, in einer der düstersten Produktionen des Genres; sie lief einige Monate vor dem Novemberpogrom in den New Yorker Kinos an. Der Film erzählt die Geschichte einer Fischerfamilie aus Kazimierz, die nach dem Ertrinken ihres Sohnes in stürmischer See auseinanderfällt, weil der Vater es nicht länger ertragen kann, in Polen zu leben, und allein in die Neue Welt zieht. Dort bleibt dem Fischer nichts anderes als das Tellerwaschen in einem Nachtclub; und wie er schon so tief gesunken ist, ist es nur konsequent, wenn sein amerikanisches Sweetheart eine Nightclub-Eule ist.

Amerika ist hier ein krudes Gemälde mit entfesselten Otto-Dix- Charakteren, bartlosen, desorientierten Juden und Schwarzen, die kreatürlich mit den Augen rollen (gespielt von Polen mit Schuhcreme im Gesicht). »Er badet in Teer«, erklärt Motl seiner nachreisenden Mischpoke, die beim Anblick des schwarzen Hausmeisters erschrecken. Diese kleinen Slapsticks dienen nicht so sehr der Erheiterung als vielmehr der Illustration absoluter Entfremdung, wie sie die Immigranten erfahren. Der Film, gedreht in Polen nach der Zwangsräumung jüdischer Zeitungen, ist mehr als nur ein typisches Beispiel für shund, (wie dieses tränenreiche Genre vor dem Krieg genannt wurde), er ist ein kameratechnisch ausgefeiltes Dokument unmittelbarer Vorkriegsstimmung. Ich wette, daß der Trupp eingeschworener Freunde des jiddischen Kinos, der ständig rastlos in der Nähe des Gropius-Baus umherschweift, sich ein letztes Mal in Mir Lebn Gebliebene treffen wird, der am Freitag abend zu sehen sein wird. Aus den Trümmern der jüdischen Lebenswelten im Osten wird hier ein Panorama zusammengesetzt, das keinen falschen Trost bieten, aber trotzdem Mut machen will. Dokumentarmaterial von Landarbeit, Sensen und Heuhaufen, Näherinnen, die Kleider aus Lumpen machen, Schuster bei der Arbeit, Liedermacher, chassidische Tänze, Druckereien jiddischer Tageszeitungen, Lieder aus dem Gettoaufstand in Warschau und Ausschnitte aus Filmen mit Ida Kaminska machen den Film zu einer expressionistisch rhythmisierten Jiddischland-Symphonie. Ihren Charakter als Abgesang gewinnt sie erst dadurch, daß sie nie in Polen gezeigt wurde...

Die Kommissarin (UdSSR, 1967) von Aleksander Askoldow war einer der ersten Filme, die seinerzeit unter Michail Gorbatschow aus den Giftschränken in den Westen geholt wurden, nachdem auch der Regisseur ihn zwanzig Jahre lang verloren geglaubt hatte.

Eine Kommissarin der Roten Armee wird in den ersten Wochen des russischen Bürgerkrieges wegen ihrer Schwangerschaft suspendiert (vergeblich schnürt sie sich den Leib zusammen, um es zu verbergen) und bei einer jüdischen Familie untergebracht. Zunächst von Askoldow als Kanonenweib gezeigt, wird sie während der Geburt zur schreienden und schwitzenden Kreatur. Zwischen Großaufnahmen ihres angestrengten Gesichts werden in Eisensteinscher Manier Bilder von ihrer Truppe geschnitten, wie sie mit den Pferden in geometrischer Form über einen Hügel zum Wasser ziehen. Die Mühen der revolutionären Ebene solchermaßen mit denen der Kreatur an und für sich gepaart, ist Die Kommissarin ein Antikriegsfilm, der auf soziale Argumentation zugunsten einer eher biblischen verzichtet: Gemetzel sind Frevel an Gottes Schöpfung. Askoldow verzichtet auf ein speziell jüdisches Szenario; Marienstatuen, Fußwaschungen und Pieta-Figurationen der Mutter mit ihrem Kind zwischen Ruinen sind Anleihen bei der christlichen Ikonographie.

Worauf er leider nicht verzichtet, ist eine braun eingetönte Schreckensvision von Auschwitz, die die Kommissarin vor ihrem geistigen Auge sieht, als sie die Kinder ihrer Gastgeberin beim Reigen sieht. Ansonsten kommt der Film über weite Strecken ohne Pathos aus, huldigt dem friedlichen Alltag; das Räkeln morgens im Garten, die wohlige Faulheit und der gute Hirsebrei (Samstag abend).

Der absolut letzte Film der Reihe (kann das sein?) ist bedauerlicherweise Janine Meerapfels Im Land meiner Eltern (1981), eine larmoyante, peinliche Heimatsuche in einem Deutschland ach so geschichtslos, ach so gemein, überhaupt: ach! Zu Sätzen wie: »Mir ist oft kalt in Deutschland. Ich sehe oft Menschen, die ihren Körper als Festung vor sich hertragen« sieht man Bilder von älteren Frauen aus der Wilmersdorfer Straße — woher sonst? Diese unerträgliche Arroganz des Bürgerblicks, dem der Körper der Unterschicht ästhetisch auf den Magen schlägt, wird auch noch als jüdische Sensibilität verklärt und kontrastiert mit der »physischen Wärme in meiner Familie« zu Bildern vom Sederabend beim Pessachfest.

Die Idee, diesen Film an den Schluß einer Reihe zu setzen, die so viel subtilere Einblicke in die jüdische Moderne gewährt hat, hängt damit zusammen, daß die Veranstalter einen deutschen Gegenwartsfilm wollten, der das deutsch-jüdische Verhältnis als unversöhnt, zumindest problematisch charakterisiert. Mariam Niroumand