: Die „Wiedervereinigungs-Schnellstraße“
Was die viertausend ausländischen Geburtstagsgäste des „großen Führers“ Kim Il Sung in Nordkorea zu sehen bekamen/ Potemkin — aber größer, höher und weiter/ „Wir haben viel mehr Tunnel“ ■ Aus Pjöngjang Hans Vriens
Der 80. Geburtstag Kim Il Sungs am 15. April gestattete es Nordkorea, viertausend sorgfältig verlesenen Gästen die Errungenschaften des Lebens in Kims Arbeiterparadies vorzuführen. Die Besucher waren auf ihre Art illuster: So fand sich unter ihnen ein Häuflein von Mitgliedern des letzten Restes der rumänischen Kommunistischen Partei ebenso wie eine große Delegation aus Französisch-Äquatorialguinea. Auch die dänischen und britischen KPs waren stark vertreten. Sie wurden durch ein üppig gefülltes Kaufhaus geführt und besichtigten kürzlich fertiggestellte Prestigeprojekte in und um die Hauptstadt— meistens aus sicherer Entfernung.
Zur Feier Seife und Hefte
Dabei schien es nicht allen Gästen aufzufallen, daß die „Kunden“ in dem Kaufhaus für den Tag Geld dafür erhalten hatten, die Theken zu umlagern. Und daß fast die einzigen Waren, die real zum Verkauf angeboten wurden, Seife und eine Sonderlieferung von Schreibheften waren. Die konnten mit speziellen Coupons erstanden werden — eigens für den Geburtstag Kims ausgegeben. Lange Schlangen müder und ärmlich gekleideter KoreanerInnen, die um Seife und Schreibhefte anstanden, zeigten wohl ein wahreres Bild des Lebens in Pjöngjang.
Die Auslagen in dem Kaufhaus schienen Teil der Bemühungen der Regierung zu sein, Pjöngjang in eine moderne Version von Potemkin zu verwandeln, des von Stalin errichteten Modelldorfes und Abbild der Träume des kommunistischen Utopia. Aber anders als das originale Potemkin versucht Nordkorea auch durch die schiere Größe seiner Leistungen zu beeindrucken.
Neben dem Kaufhaus besichtigten die Gäste auch ein unvollendetes — und möglicherweise unvollendbares— 105stöckiges Hotel, das zwei Etagen höher ist als das Westin Hotel in Singapur (das von einer südkoreanischen Baufirma errichtet wurde). Zur Feier des Geburtstages errichtet wurde auch die, wie es hieß, höchste freistehende Steinkonstruktion der Welt, einen Meter höher als das Washington Monument.
Weiter ging's zu einem zwanzigstöckigen Wohnkomplex südlich der Chungsong-Brücke. Der war augenscheinlich für die wohlhabenderen unter den Regierungsangestellten und andere Begünstigte des Kimschen „Wirtschaftswunders“ gedacht. Allerdings sagten Diplomaten, die Regierung habe Mühe, die Hochhäuser zu vermieten. Denn das Wasser kommt nicht bis in die obersten Stockwerke, und die Aufzüge sitzen wegen Stromabschaltungen häufig fest. Die Energieversorgung hat sich weiter verschlechtert, da Nordkorea seit Anfang 1992 für die Ölimporte aus Rußland und China mit harter Währung zahlen muß.
Außerhalb von Pjöngjang war das bei weitem ehrgeizigste Projekt, das zu Kims Geburtstag eingeweiht wurde, die vierspurige „Wiedervereinigungs-Schnellstraße“, die von Pjöngjang zur Demilitarisierten Zone (DMZ) an der Grenze zu Südkorea führt. Sie wurde von der Armee gebaut — unter persönlicher Oberaufsicht durch den „Geliebten Führer“ Kim Jong Il, des Sohnes und designierten Nachfolgers des „Großen Führers“.
Wenn auch die nordkoreanischen Funktionäre weder etwas über die Baukosten noch sonstige Details verraten wollten, waren die Beobachter von der Tatsache beeindruckt, daß die Straße eine grade Linie durch bergiges Terrain schlägt, mit 23 Tunneln und 21 Brücken auf der 168 Kilometer langen Route zum Grenzort Panmuniom. Aber die Straße könnte sich als relativ unnütz erweisen, außer in dem unwahrscheinlichen Fall erneuter Feindseligkeiten mit dem Süden. Eine Gruppe ausländischer Touristen, die zwei Tage nach den Feierlichkeiten nach Panmuniom reisten, sahen nur vier Fahrzeuge auf der gesamten Strecke — von denen zwei auf der falschen Fahrbahn fuhren. Doch die Straße war nicht ausgestorben: Weiterer „Verkehr“ bestand aus Hunderten von Soldaten, die die Straße fegten.
Vom Nutzen einer Straße
Befahren dürfen die Schnellstraße, so heißt es, nur höhere Kader und Militäroffiziere, die fünf Militärkontrollen auf dem Weg nach Panmuniom passieren müssen. Selbst wenn jeder auf diese Straße dürfte, bliebe ihr Bau doch angesichts der geringen Zahl von Autos in Nordkorea von zweifelhaftem Sinn. Nach Regierungsangaben verfügt der Norden über eine Flotte von 6.000 Mercedes-Limousinen (von denen einige in Nordkorea zusammengebaut wurden) für den Gebrauch hochrangiger Funktionäre. Gewöhnliche Sterbliche können sich vielleicht ein Fahrrad kaufen — vorausgesetzt, sie erhalten die Genehmigung der Koreanischen Arbeiterpartei.
Der Wiedervereinigungs-Highway endet wenige hundert Meter vor dem „Friedensdorf“ in Panmuniom— doch das wäre ganz sicher nicht das Ende der Fahrt, sollte je wieder Krieg zwischen dem Norden und dem Süden ausbrechen. Wie der nordkoreanische General Choi Yi Ung sagte — er ist Chef der Streitkräfte auf der Nordseite der DMZ und war zur Hand, um sich von den „geehrten Gästen“ des Friedensdorfes in Panmuniom befragen zu lassen— waren die vier Tunnel unter der DMZ, die in den siebziger Jahren vom Süden entdeckt wurden, nur die Spitze des Eisbergs. „Wenn der Süden clever wäre, würde er weitere 36 Tunnel finden“, sagte der General mit sichtbarem Stolz. Nordkorea behauptet allerdings weiterhin, diese Tunnel seien nicht zu aggressiven Zwecken gebaut. Sprecher der Armee beschreiben sie als „Höhlen, in denen unsere heldenhaften Soldaten während der Bombardements durch amerikanische Artillerie und Luftwaffe im Koreakrieg Unterschlupf suchten“.
Es ist schwer vorstellbar, daß die Besitzer von Hyundai- und Daewoo- Autos bald auf der Wiedervereinigungs-Strecke nach Pjöngjang fahren dürfen. „Der Tag, an dem die Bevölkerung Nordkoreas herausfindet, daß ihre Brüder und Schwestern im Süden noch als ,Sklaven der US- amerikanischen Kolonialherren‘ leben, mag weiter weg sein, als der Süden zu glauben scheint“, meinte ein ausländischer Beobachter in Pjöngjang.
Die Armee Nordkoreas jedenfalls würde einen Blitzstart an die Grenze haben, falls es je wieder zum Krieg mit dem Süden kommen sollte. Aber die Autobahn könnte für den Transport von Militärs in beiden Richtungen dienen. Angesichts des enormen Rüstungsungleichgewichts zugunsten des Südens scheint es zweifelhaft, ob die „Wiedervereinigungs- Schnellstraße“ wirklich ein geeignetes Geburtstagsgeschenk an die Militärführer Nordkoreas ist.
Kim Il Sungs Sohn zum Marschall ernannt
Tokio (afp) — Der älteste Sohn von Nordkoreas Präsidenten Kim Il Sung, Kim Jong Il, ist am Montag zum Marschall der nordkoreanischen Streitkräfte ernannt worden. Dies berichtete die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA in einer am Dienstag in Tokio empfangenen Meldung.
Der 50jährige Kim, der bereits die Nummer zwei der kommunistischen Partei und designierter Nachfolger seines Vaters als Staatsoberhaupt ist, übernahm somit das Oberkommando über das Heer, die Luftwaffe und die Marine. Beobachter werteten die Ernennung Kim Jong Ils zum Marschall als weiteren Schritt zur Ablösung seines nunmehr 80jährigen Vaters.
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