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Brutaler Kampf um Sarajevo

■ Ohne Atempause tobt der Kampf um Bosniens Hauptstadt Sarajevo, der gestern wieder mehrere Menschen das Leben kostete. Die USA und die EG halten sich, was Sanktionen betrifft, noch bedeckt.

Brutaler Kampf um Sarajevo Ohne Atempause tobt der Kampf um Bosniens Hauptstadt Sarajevo, der gestern wieder mehrere Menschen das Leben kostete. Die USA und die EG halten sich, was Sanktionen betrifft, noch bedeckt.

Es kommen auf Sarajevo harte Zeiten zu. Die Stadt ist von einer Seuche ergriffen, die die Seele Sarajevos zerstören wird.“ Dramatische Worte— sie rissen die Bürger Bosniens gestern morgen aus dem Schlaf. Egal welchen Radiosender, welchen Fernsehkanal man einschaltete— der Krieg lief am laufenden Band. Auch in den Zeitungen immer wieder dieselben Schlagzeilen: Krieg.

Wer nicht unmittelbar in Sarajevo zum Zeugen der blutigen Straßenkämpfe werden mußte, der hing stundenlang vor Radio- und Fernsehgeräten. Ob Flüchtling oder Journalist: Nicht nur in Bosnien, auch in Kroatien und Serbien verfolgten die Menschen die Kriegsberichterstattung in den elektronischen Medien. Denn seit dem Zusammenbruch Jugoslawiens im letzten Sommer klangen die Meldungen nicht so dramatisch wie gestern. Mitten in Sarajevo, im Nobelhotel „Bosnia“, in dem UNO- Vertreter, Journalisten, Politiker und andere Persönlichkeiten in den letzten Tagen „zur persönlichen Sicherheit“ Zuflucht gesucht hatten — gerade um dieses Hotel lieferten sich serbische Freischärler und muslimische Verteidiger stundenlange Gefechte. Alle Fensterscheiben gingen zu Bruch, Hunderte Hotelgäste gerieten in Panik.

Und dann die anderen Bilder aus der bosnischen Hauptstadt: Der Hauptsitz der einst größten jugoslawischen Handelsfirma „Energoinvest“ stand in Flammen. Denn keine Feuerwehr konnte wegen der unzähligen Straßensperren zum Brandherd vordringen. Und dann die Warnung im staatlichen Rundfunk: „Laßt die Feuerwehr durch, bei ,Energoinvest‘ lagern radioaktive Materialien— wenn die Feuer fangen...“ Im Zentrum von Sarajevo liegen Dutzende Tote seit über 24 Stunden auf der Straße herum. Niemand hebt sie auf, niemand begräbt sie. Nur Kameraleuten gelingt es, sie zu filmen. Niemand scheint das zu stören. Bilder, die Haß, immer wieder neuen Haß schüren.

Kanalwechsel. Radiotöne: Präsident Alija Izetbegovic ruft seine Landsleute zum Widerstand auf. Worte wie Frieden, wie Feuerpause nimmt er nicht in den Mund. Nein, seine Worte sprechen von „bewaffnetem Kampf“, von „Befreiung“, die kommen werde. Er feuert sein Volk an, den Aggressoren die Stirn zu bieten, sich nicht zu ergeben. Zu kämpfen. Dann eine Erfolgsmeldung: Einer Spezialeinheit sei es gelungen, eine Truppe von zweihundert serbischen Freischärlern in den Bergen um Sarajevo einzukreisen. Und zu töten. Ein Panzer der Bundesarmee, getarnt zwischen Tannenbäumen, wird gezeigt, zum Zeichen, daß die Armee auf seiten der Freischärler stand. Die Leichen der Serben sieht man nicht. Gefangene Serben erst recht nicht.

Die meisten Bewohner Sarajevos haben die Nacht zu Mittwoch in Schutzräumen verbracht; bei den Kämpfen am Dienstag waren mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen, 50 weitere wurden verletzt. Auch rund um das Hotel der EG-Beobachter in dem von Serben kontrollierten Stadtteil Ilidza tobten die Gefechte. Der stellvertretende EG-Delegationsleiter, Victor Fereira, rief über den Rundfunk zu einer Waffenruhe auf, damit Verletzte, die vor dem Hotel lägen, evakuiert werden könnten. Unter den Verletzten ist nach Angaben des Rundfunks auch ein Kameramann des britischen Fernsehsenders Visnews.

Fereira bot im Rundfunk seine Vermittlung in dem Konflikt an, der sich seinen Angaben zufolge von Stunde zu Stunde zuspitzt. Gestern um 11.00 Uhr wurde für den Stadtteil Ilidza dann tatsächlich ein Waffenstillstand vereinbart, berichtete die Nachrichtenagentur 'Tanjug‘. Auf die Waffenruhe hätten sich der Kommandant der moslemischen Milizen, Esad Mulhasanovic, und der Chef der von den Serben eingerichteten Polizei, Ilidza Savo Kovacevis, unter Vermittlung der EG-Beobachter geeinigt. Doch wenige Stunden später flammten die Kämpfe bereits wieder auf.

Der Vorsitzende der Serbischen Demokratischen Partei (SDS), Radovan Karadzic, beschuldigte unterdessen „moslemische Einheiten, die serbische Gemeinde Ilidza“ am Mittwoch morgen angegriffen zu haben. Er rief zu einem „bedingungslosen Waffenstillstand“ auf. Seiner Ansicht nach hätten die Kämpfe von Dienstag und Mittwoch zum Ziel, die für Donnerstag geplante Ankunft des Präsidenten der EG-Jugoslawienkonferenz, Lord Peter Carrington, zu verhindern. Wenn heute Serbiens Außenminister Jovanovic mit Bundesaußenminister Genscher in Bonn zusammentrifft, braucht er außer harschen Ermahnungen erst mal nichts zu fürchten — auch wenn, wie gestern in Washington bekanntgegeben wurde, die USA und die EG an einer Strategie der Isolierung Serbiens arbeiten; denn vor dem 1. Mai, dem nächsten EG-Außenministertreffen, so verlautet aus Bonn, ist mit klaren Maßnahmen nicht zu rechnen — bis dahin dürfte Sarajevo das gleiche Schicksal wie Dubrovnik beschieden sein. Roland Hofwiler,

Niksic (Montenegro)

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