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Banale Leidensgeschichte

■ »Vor Sonnenuntergang« von Gerhart Hauptmann im TAK im Souterrain

Ein letztes Mal ging 1932 vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ein Werk Gerhart Hauptmanns über die Bühne des Deutschen Theaters. Der Titel — Vor Sonnenuntergang — scheint prophetisch, auch wenn es zweifelhaft bleibt, ob man gerade Hauptmann die Sehergabe zusprechen darf: er verließ nicht, wie so viele andere Schriftsteller, das faschistische Deutschland, sondern ließ sich weiterhin ehren und bezog kaum klare Positionen gegen das NS-Regime.

Die Tragik des Dramas ist offensichtlich vor diesem Hintergrund von Resignation und Anpassung. Um so mehr verwirrt es, in dessen Aufführung am »TAK im Souterrain« eine banale Leidensgeschichte wiederzufinden.

Der anerkannte Verleger, Geheimer Kommerzienrat Clausen, hat sich nach dem Tod seiner Frau in Inken Peters, ein junges Gärtnermädchen, verliebt und bekennt sich offen zu dieser Beziehung. Seine Kinder fürchten um ihre Erbschaft und versuchen, die Verbindung mit allen Mitteln zu zerstören. Schließlich lassen sie den Vater entmündigen. Zutiefst verzweifelt und seelisch gebrochen, wählt Clausen den Freitod.

Fast alles Aufschlußreiche muß dem Wortlaut der Dialoge entnommen werden, selten sind Charakter und Befindlichkeit der Personen spürbar. Die Darsteller drücken sich durch den Wechsel von eintönigen Textwiedergaben und undifferenziertem Gebrüll aus, es gibt fast kein Zusammenspiel, jeder scheint nur auf das nächste Stichwort zu warten.

Da die Schauspieler zum größten Teil Laien sind, verwundert es nicht, daß sie dem fast ausschließlich aus Dialogen bestehenden Stück hilflos gegenüberstehen. Die Szenen wirken häufig unglaubwürdig durch die Unnatürlichkeit des Sprechers und durch den Widerspruch zwischen den zu verkörpernden Typen und der Ausstrahlung der Darstellenden. So erweckt Rudolf F. Beil als Matthias Clausen kaum den Eindruck eines Mannes, der durch seine Kultiviertheit und Brillanz die Liebe einer jungen Frau zu gewinnen vermag. Claudia Augstein ist eine farblose Inken Peters. Sie versucht, ihre Sanftheit zu überschreien, wird aber trotzdem ihrer Rolle nicht gerecht. Übertriebener Realismus und fehlende Doppelbödigkeit zerstören den Symbolgehalt des Stückes. Sowohl der Regisseur (Siegfried Patzer) als auch der Bühnenbildner (Rainer Terweg) hätten sich etwas mehr einfallen lassen können. Begeistern wird die Aufführung allerhöchstens Freunde der Volkskunst. Irene Brie

Noch bis zum 29.4. um 20 Uhr im TAK, Möckernstraße 66.

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