: Vom entführten Säugling fehlt jede Spur
■ Die Polizei steht vor einem Rätsel/ Nach Augenzeugenberichten könnten die Täter Skins sein
Berlin. Die Polizei tappt noch völlig im dunkeln. Auch gestern ging bei der Kripo kein brauchbarer Hinweis auf die drei jungen Männer ein, die am Dienstag abend in Marzahn einen drei Monate alten Säugling entführten und mit ihm verschwanden. Der Fall sei »mysteriös«, meinte ein Pressesprecher der Polizei, »ein Motiv sei nicht erkennbar«.
Gestern fuhren in Marzahn Polizeiwagen herum und forderten per Lautsprecherdurchsagen die Anwohner auf, Beobachtungen anzuzeigen. Der einzige sachdienliche Hinweis bezieht sich bisher auf das Fahrzeug der Entführer. Der weiße Lieferwagen — Marke »Iveco« mit dem gefälschten Hagener Kennzeichen HA-NA 1904 — soll schon einige Tage vor dem Menschenraub am Tatort gesehen worden sein und hätte am linken hinteren Kotflügel eine auffällige Beule gehabt. Die Mutter des Babys appellierte in Boulevardzeitungen an die Entführer, den Jungen zurückzugeben. Das Kind habe Leukämie und brauche seine Medikamente.
Den Angaben zufolge wurde der 22jährigen Mutter der Kinderwagen mitsamt Baby am Dienstag um 21.30 Uhr an der Straßenbahnhaltestelle Ecke Wuhletalstraße/Schwarzburger Straße von drei Männern entrissen. Sie seien aus dem Lieferwagen gesprungen, hätten den Kinderwagen eingeladen und seien weggefahren. Der leere Kinderwagen fand sich später 150 Meter vom Tatort entfernt am Wuhlebach. Von dem Kind fehlt jede Spur. Nach der Beschreibung der Mutter seien die Täter Skinheads gewesen, denn sie trugen Lederjacken sowie Kapuzen T-Shirts, und die Köpfe seien kahlgeschoren gewesen. Was allerdings Skins mit Säuglingen anfangen könnten, wußte auch die Polizei nicht zu beantworten.
Deshalb ermittelt der zuständige Kommissar Siegfried Mollenhauer auch in alle Richtungen. Heute werden die Eltern ein zweites Mal vernommen. Sie haben keinerlei Kontakte zur Skinhead-Szene und sind auch nicht reich genug, ein eventuelles Lösegeld zu bezahlen.
Der Vater des Kindes ist Kraftfahrzeug-Mechaniker, die Mutter Hausfrau. Sie hat noch einen weiteren knapp drei Jahre alten Sohn, der den Raub seines Bruders mitangesehen hat. Am Abend der Tat sei die Mutter mit den beiden Kleinkindern von einer Geburtstagsfeier gekommen, der Vater wollte sie von der Straßenbahnhaltestelle abholen, habe sie aber verpaßt.
Die Polizei sucht jetzt landesweit nach dem Fahrzeug und kontrolliert — um einen möglichen Babyhandel zu verhindern — an den Grenzen. Der Fall ist äußerst ungewöhnlich, die letzte Kindesentführung in Berlin fand vor zwei Jahren statt. Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle und die Kripo in Marzahn unter der Nummer (Ost) 9203455 oder -457 entgegen. aku
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