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Ein Aufstand alter Männer

The Highbury Men: Jonny Cash, Willie Nelson, Kris Kristofferson und Waylon Jennings in der Berliner Deutschlandhalle  ■ Von Thomas Groß

Waylon Jennings habe ich auf dem Plakat nicht wiedererkannt, auch Kris Kristofferson ist arg grau geworden; bloß Johnny Cash und Willie Nelson sehen aus wie eh und je — forever old. Man erschrickt ein wenig, wenn man das Alter der Vier zusammenzählt, die sich nach dem Vorbild anderer in die Jahre gekommener Rock-Größen zur All-Star-Band zusammengeschlossen haben: Zwei Jahrhunderte reichen bei weitem nicht aus. Aber was sind schon zwei Jahrhunderte? Schließlich ist dies hier nicht Pop, sondern Country, und in Country-Land schlagen die Uhren nach eigenen verschwiegenen Gesetzen.

Die Fans scheinen das immer schon gewußt zu haben. Kein übermäßig großer, aber ein buntscheckiger Auftrieb vor der Deutschlandhalle am Mittwoch abend. Männer mit Fransenjacken führen Ladys in Pailettenkleidern und zierlichen Stiefeletten sittsam am Arm, als ginge es in den Gottesdienst oder die Grand Ol' Opry. Andere warten allein auf Einlaß und stellen dabei wie zufällig ihre Prachtkoteletten zur Schau. Spitzes Schuhwerk ist fast ein Muß. Und immer wieder Hüte: in allen Variationen, vom Stetson über die Bürgerkriegs-Kappe à la Lieutenant Blueberry bis hin zum gemütlichen Modell Hoss. Grüppchen grüßen sich über die Köpfe hinweg, freundliche, erwartungsfrohe, keiner Szene-Bohème zugehörige Exoten. Rätselhaft, wo die alle herkommen, aber es gibt ja nicht so viele Möglichkeiten. Sind eben die Cowboys aus der Hasenheide, aus Moabit, Reinickendorf und Friedrichshain. Junge Gesichter kaum dabei.

Drinnen ist schon die Vorgruppe zugange: Western Union, eine etwas schmerbäuchige Berliner Eigenzüchtung. „Ich möcht so gerne mal nach Nashville“, singen sie, um anschließend zur freien Fahrt für freie Bürger zu animieren: „auf einsamen Straßen nach irgendwo rasen, das wird wieder tierisch bären-sta- hark!“ Trucker-Country aus zweiter Hand ist zum Glück nicht das, was heute Abend erwartet wird, der Zuspruch bleibt mäßig. Schließlich müssen die Original Highwaymen schon irgendwo hinter der Bühne warten.

Johnny Cash hat die genialste Begrüßung parat. „Hello, I'm Johnny Cash“, schleudert er lakonisch und nonchalant in die Halle — der Applaus geht im Folsom Prison Blues unter. Dreizehn Mann stehen auf der Bühne, neben den eigentlichen Stars ganze neun Begleitmusiker, die dem schwerumjubelten Cash, aber auch Kristofferson, Jennings und Nelson routiniert den Rücken freihalten. Alle zusammen geben den Leuten zunächst einmal what they want: gut abgehangenes Liedgut, das jeder kennt.

Wacker bringen die Highwaymen einen Klassiker nach dem anderen, dramaturgisch sinnvoll nach dem Rotationsprinzip verteilt, doch nicht ohne individuelles Buhlen um die Gunst des Publikums. Cash legt mit Ring of Fire vor, Jennings steuert harten Stoff zum Thema Liebe, Leid und Alkohol bei; Kristofferson wiederum hält nach einigen weniger zugkräftigen Titeln mit seinen Smash-Hits Me and Bobby McGee und Help Me Make it Through The Night dagegen, denen er ein flottes, neuzeitliches Arrangement verpaßt hat. Irgendwann läßt er auch neckisch die Muskeln unter dem Jackett zum Vorschein kommen. Gegen Johnny Cashs Prediger-Organ, seine staubige Altherrenstimme kommt Kristofferson allerdings nicht an. Vielleicht ist der Mann einfach noch ein bißchen jung.

Zur eigentlichen Überraschung des Abends wird nämlich der Dienstälteste des Quartetts, Willie Nelson. Wunderbar verhärmt agiert er am linken Bühnenrand, wobei „agieren“ entschieden zuviel gesagt ist. Nelson teilt sich fast nur durch seinen Gesang mit. Süß, schwer und jenseitig schön klingt er, ein wenig wie das Falsett von Aaron Neville. Selbst ein schlichtes Bekenntnis wie You were always on my mind meistert der schmächtige Mensch gefühlvoll, aber absolut unkitschig. Ein Außenseiter mit (wirklich!) kaputter Gitarre und Penner-Mähne, für jeden sichtlich eine stark angegriffene Figur; gleichzeitig aber der lebende Beweis dafür, daß Country eben nicht nur Macho-Musik für stupide Kleinbürger ist, sondern tatsächlich der Soul des kleinen Mannes, ein alltägliches Forum alltäglicher Gefühle, die sich selbst nicht durchsichtig sind und auf ihrer Suche nach der geeigneten Form gewaltsam Traditionen beerben — auch wenn die schon gar nicht mehr richtig wahr sind. Alles, was sich an Komplikation, Verwirrung und Undurchschaubarkeit in einem Moment zusammengefunden hat, wird in den Willen zur klaren Aussage, zur einfachen, ewigguten Melodie investiert.

Daß solche Songs die ganze Würde des wahren falschen Gefühls für sich beanspruchen, versteht für einen Moment selbst der tumbeste Tor in der Halle. Mehr noch als Johnny Cash ist Willie Nelson mit seinen Balladen der Star des Abends; einfach, weil er das moderne Märchen vom Country-Land, wo das Schwierige plötzlich einfach und der Knoten im Tag Sprache wird, am besten erzählt: so eindringlich wie möglich, aber auch so gebrochen wie nötig.

Ghost Riders In The Sky ist eines der letzten Lieder. Daß der Aufstand alter Männer auf die Dauer des Konzerts beschränkt bleibt, daß der Alltag anders aussieht, ja, daß es Highwaymen in Wirklichkeit gar nicht mehr gibt, hat ohnehin jeder geahnt.

Noch ein Konzert am 25.April in der Münchner Olympiahalle.

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