: Quotierung muß bleiben
■ NRWs Frauenministerin Ridder-Melchers zur Frauenförderung
taz: Seit Dezember 1989 ist in Nordrhein-Westfalen das Frauenfördergesetz in Kraft, in dem eine Quotierung im öffentlichen Dienst vorgesehen ist. Wie sieht die bisherige Praxis aus?
Ilse Ridder-Melchers: Bisher sind die Erfahrungen mit dem Frauenfördergesetz durchweg positiv. Seit es in Kraft ist, wird die berufliche Entwicklung von Frauen viel stärker beachtet. Denn das Gesetz veranlaßt zunächst einmal die Prüfung, ob Frauen im jeweiligen Berufsfeld unterrepräsentiert sind. Unsere Erfahrungen zeigen auch, daß Frauen seither viel stärker dazu ermutigt werden, sich zu bewerben oder sich zu Wort zu melden, wenn es um Beförderungen geht. Darüber hinaus gibt die Anwendung des Gesetzes wichtige Impulse für die Transparenz von Personalentscheidungen. Die Zahl der weiblichen Angestellten im höheren Dienst ist seit Ende 1989 allein im Laufe eines Jahres um fast drei Prozent gestiegen. Dabei hat das Frauenförderungsgesetz eine entscheidende Rolle gespielt.
Nach Aussage des Oberverwaltungsgerichts in Münster schwebt die Quotierungspraxis wieder im rechtsfreien Raum.
Von einem rechtsfreien Raum kann überhaupt nicht die Rede sein. Das Gesetz ist gültig und muß sowohl von den Behörden als auch von den Gerichten angewandt werden. Zwar hat das OVG Münster hier in einem Einzelfall mit seinem vorliegenden Beschluß im Eilverfahren verboten, eine bestimmte Stelle mit einer Frau zu besetzen — die Kompetenz, die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes festzustellen, hat es nicht, denn die hat weiterhin allein das BVG. Die Auffassung der Münsteraner Richter, daß Karlsruhe das Gesetz verwerfen wird, teile ich nicht.
Sie bauen also auf eine Entscheidung aus Karlsruhe? Oder können Sie sich vorstellen, daß Quotierung und Frauenförderungsgesetze sich in der Praxis durchsetzen?
Die Zeit arbeitet für uns. Im übrigen hat das BVG in seiner Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot deutlich gemacht, daß Artikel 3, Absatz 2 Grundgesetz ein Gleichheitsgebot aufstellt, daß sich auch auf die soziale Wirklichkeit erstreckt. Die Einsicht wird zunehmen, daß eine berufliche Gleichstellung ohne eine effektive Quotierung nicht zu erreichen ist. Zudem öffnen sich auch verstärkt konservative Kreise dem Quotierungsgedanken. Wir wissen, daß es nach NRW, Hamburg, Berlin und Bremen Überlegungen in weiteren Bundesländern gibt, die Quotierung einzuführen. Diese haben vorerst die Einführung bis zu einer Entscheidung aus Karlsruhe zurückgestellt. Ich bedauere, daß es durch die jetzige Entwicklung zu einer zeitlichen Verzögerung kommen wird, hoffe aber gleichzeitig, daß meine KollegInnen die politische Kraft aufbringen, ebenso wie die NRW-Landesregierung an ihrer bisherigen Überzeugung festzuhalten. Im übrigen habe ich mich dafür eingesetzt, daß hier auch die Verfassungsreform zusätzliche Klarheit schafft. Ich sehe einer späteren Entscheidung des BVG mit Zuversicht entgegen. Unsere Argumente sind gut. Sie werden unter anderem auch gestützt durch renommierte Verfassungsexperten, wie beispielsweise dem Ex-BVG-Präsidenten Ernst Benda (CDU).
In den wenigen anhängigen Verfahren bezüglich der Quotierung ist derzeit ein Einstellungs- oder Befördertungsstopp verfügt, bis das BVG entscheidet. Wie wollen Sie dagegen vorgehen?
Einen Einstellungs- und Beförderungsstopp bis zur Entscheidung des BVG kann es nun nicht mehr geben, da die Karlsruher Richter nach dem Rückzug des OVG Münster nicht mehr mit der Sache befaßt sind. Ich vertraue darauf, daß auch die Gerichte, die ihre Verfahren bisher ausgesetzt hatten, das Gesetz nun anwenden und damit seine Umsetzung weiterhin ermöglichen. Als Frauenministerin werde ich mich jedenfalls von meinem Ziel, die Gleichstellung von Frau und Mann in die soziale Wirklichkeit umzusetzen, nicht abbringen lassen. Interview: Karin Flothmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen