Die Nase voll vom Heufieber

■ Wie der seltsame Begriff vielleicht entstand, und welche Arzneimittel dagegen helfen

Im Sommer des Jahres 1763 — es hatte, wie so oft in England, tüchtig geregnet — stand plötzlich wieder die Sonne am Himmel, und es war herrliches Wetter. Dr. John Elliot Thatcher entschloß sich deshalb zu einem Spaziergang. Die Wiesen dampften. Größtenteils war das Gras bereits gemäht und zu Heuhaufen zusammengetragen. Da entdeckte er, was jeder Bauer ihm hätte sagen können, aber was ihm als Städter in höchste Verwunderung versetzte: Die Heuhaufen waren warm, ja heiß, sobald man die obersten Schichten abnahm. Fasziniert von dieser Beobachtung ging er der Sache nach und veröffentlichte eine wissenschaftliche Arbeit — eine der ersten, die sich mit dem Phänomen der Gärung befaßten. Dabei nahm er an, daß sich das Heu im wechselhaften Wetter erkältet hatte und nun mit Fieber und Katarrh reagierte. Titel der Arbeit: »Hay-fever. Its origin and its symptoms«.

Die Arbeit fand großen Anklang, wurde ins Französische übersetzt, ins Italienische, von dort ins Spanische und über das Russische schließlich ins Deutsche. Womit erklärt ist, warum mit Heufieber heute etwas ganz anderes gemeint ist.

So könnte sich die Geschichte des Begriffs Heufieber zugetragen haben, hat sie aber nicht. Dennoch: Die »Rhinitis allergica« — so der lateinische Name — hat weder etwas mit Heu noch etwas mit Fieber zu tun.

Vielmehr leiden die vielen Tausend meist jüngeren Menschen an einer Überempfindlichkeitsreaktion. Allergieauslöser (Allergene) sind Blütenpollen. Durch Tests kann genau herausgefunden werden, ob und welche Pollensorten allergische Reaktionen auslösen. Am Augenjucken und an der Schniefnase merken solche Menschen, wann die Birken zu blühen beginnen und die Papiertaschentuchsaison anfängt.

Schlimmeres als Augenbrennen, Tränen und Verstopfung der Nasenwege passiert allerdings selten. Gelegentlich kann eine Nebenhöhlenentzündung Folge der aufgequollenen Schleimhäute sein. Allerdings neigen Heuschnupfenpatienten vermehrt zu Asthma und allergischen Hautekzemen.

Was aber geschieht bei der allergischen Reaktion? Die Pollen, die auf der Schleimhautoberfläche liegen, werden im Zuge des »Saubermachens« der Luftwege enzymatisch »verdaut«. Dabei werden Eiweißallergene freigesetzt, die in Kontakt mit den sogenannten Mastzellen der Schleimhaut kommen. Diese sind ebenfalls dazu da, bei einer Entzündungsreaktion »abzuräumen«. Bei einer Allergie ist diese Reaktion überschießend, das heißt, die Allergene aktivieren auch noch die tief unter der Oberfläche liegenden Mastzellen. Dadurch erfolgt eine Freisetzung von Histamin. Die Durchlässigkeit der Zellmembran steigt schlagartig an. Und schon haben wir den Salat bzw. den Schnupfen. Eine wichtige Rolle spielt dabei das sogenannte spezifische IgE, eines der Immunglobuline, das die Reaktion der Mastzellen auf die Pollenallergene erst erlaubt.

Daß immer mehr Leute an Heuschnupfen leiden, wird von vielen auf die steigende Umweltbelastung zurückgeführt. Einige Forscher meinen, daß Smog, inbesondere Schwefeldioxid, auf biochemische Art den Prozeß der Allergisierung synergetisch beeinflußt.

Während früher die nebenwirkungsbehaftete Cortisonspritze obligat war, kann man heute mit Cromoglicin-Dinatrium als Nasenspray und Augentropfen vorbeugen. Moderne Antihistaminika setzen an der Histaminausschüttung aus den Mastzellen an, ohne daß wie früher Müdigkeit die Folge ist. Es gibt die Möglichkeit, bei ausgeprägtem Auftreten Cortison als Nasenspray zu nutzen.

Wer nicht sprayen, schlucken und tropfen will, der kann sich desensibilisieren oder hyposensibilisieren lassen. Dabei werden die Allergene — falls es nicht zu viele verschiedene sind — gespritzt: anfangs in hoher Verdünnung, anschließend in einer Serie von Spritzen in steigender Konzentration. Dieses Verfahren ist jedoch zeitintensiv und nicht ganz ohne Risiko, außerdem kann nur im Intervall — also in den Jahreszeiten ohne Pollen — hyposensibilisiert werden.

Wer es lieber alternativ mag, läßt sich ein homöopathisches Komplexmittel verschreiben, ein Fertigprodukt der alternativen Pharmaindustrie. Stilecht dagegen ist die Verschreibung eines einzelnen homöopathischen Arnzeimittels nach ausführlicher Anamnese und im Einklang mit der Gesamtheit aller Symptome. Wer es sich leisten kann, der fliegt von vornherein während der Pollensaison weit weg und hat Ruhe, während die Leidensgenossen zu Hause die Nase voll haben. Theo Hohenstein