Illegale Waffengeschäfte zwischen Schwabenland, Rostock und Bogota: Schalcks dubiose Dreiecksbeziehungen
■ Schalcks Handelsfirma Imes schleuste Maschinenpistolen der schwäbischen Waffenschmiede Heckler&Koch in die DDR. Vom Rostocker...
Schalcks dubiose Dreiecksbeziehungen Schalcks Handelsfirma Imes schleuste Maschinenpistolen der schwäbischen Waffenschmiede Heckler&Koch in die DDR. Vom Rostocker Hafen sollten sie nach Kolumbien geschmuggelt werden. Zahlte die Kokainmafia die Rechnung?
VON THOMAS SCHEUER
Anfang Mai 1986 betrat ein seltsamer Kunde das Büro der Deutschen Seeschiffahrts-Reederei (DSR) in Rostock. Herr Husemann aus Berlin stellte sich ohne Umschweife als Waffenhändler vor und vergatterte seinen Gesprächspartner erstmal zu strengstem Stillschweigen. Günter Husemann war Manager der Berliner Imes GmbH, jener Firma also, der in Alexander Schalck-Golodkowskis Untergrundimperium der verdeckte Waffenhandel oblag. Was den Imes-Mann nach Rostock getrieben hatte, meldete der DSR-Mitarbeiter, der unter dem Decknamen „Gerd Bauer“ als Stasi- Spitzel ein Zubrot verdiente, kurz danach seinem Führungsoffizier, dem Oberleutnant M. von der Abteilung Hafen der MfS-Bezirksverwaltung Rostock: Husemann habe erklärt, seine Firma beabsichtige, Waffen in England einzukaufen und diese nach Kolumbien weiter zu exportieren. „Daß Problem bestand darin“, so berichtete „Gerd Bauer“ seinem Führungsoffizier, „daß nicht bekannt werden durfte, daß die Waffen zunächst in die DDR gelangen.“ Eine geraume Weile hatten Schalcks Schieber das „Problem“ im Griff.
Im Dezember 1988 deckte jedoch die Londoner Polizei den Plan eines umfangreichen Waffenschmuggels nach Kolumbien auf. In den Polizeiprotokollen tauchen zwei deutsche Namen auf: der norddeutsche Waffenhändler Karl-Heinz Schulz und die alteingesessene schwäbische Waffenschmiede Heckler & Koch (H&K). Bei deren Londoner Büro hatte Schulz Gewehre, Maschinenpistolen und Granatwerfer geordert, um diese nach Kolumbien zu verschieben. Nach Berichten der kolumbianischen Behörden sollen die Waffen für die kommunistischen FARC-Rebellen bestimmt gewesen sein, die sich die Kontrolle über die Uraba-Region mit den dortigen Privatmilizen der Kokain-Barone teilten. Die britischen Ermittler waren davon überzeugt, daß die Waffenladung mit Drogengeld bezahlt werden sollte. Das Merkwürdige: Über die 1,8 Millionen DM, die der Schießkram kosten sollte, war bereits ein „Letter of Credit“ gezogen worden — bei der Deutschen Außenhandelsbank in Ostberlin. Die gestoppte Waffenladung selbst war im DDR- Überseehafen Rostock verschifft worden.
Karl-Heinz Schulz bestreitet, damals in eine Schmuggelaktion verwickelt gewesen zu sein. Er habe ordnungsgemäß eine Exportgenehmigung bei den britischen Behörden für Kolumbien beantragt, erklärt Schulz gegenüber der taz. Kunde sei die kolumbianische Armee gewesen. Die Briten hätten die Exportgenehmigung verweigert, worauf er das Geschäft storniert habe. Doch die Regierung Kolumbiens bestreitet, jemals diese Waffen bestellt zu haben. Wozu auch hätte die Armee einen Händler wie Schulz einschalten sollen? Und warum mußten die Waffen und das Geld umständlich über die DDR geschleust werden? Vor allem aber: Was wußte die Firmenleitung im Hause Heckler & Koch von den dubiosen Umweggeschäften mit ihren Schießprodukten?
Fest steht, der Waffenhändler Schulz hatte ebenso wie zahlreiche andere westliche Waffenhändler intensive Geschäftsbeziehungen zur KoKo-Firma Imes. Er bestreitet dies auch gar nicht. Fest steht auch, daß bei den geheimen Geschäften der Imes immer wieder Waffen der Marke Heckler & Koch auftauchen. Im Dezember 1989 etwa — KoKo- Boß Schalck-Golodkowski hatte sich gerade in den Westen abgesetzt — beschlagnahmte die Kripo in den Kellerräumen des KoKo-Hauptquartiers in der Ostberliner Wallstraße ein ansehnliches Waffenlager: rund 150 Handfeuerwaffen samt Zubehör wie Zielfernrohre, kugelsichere Westen sowie große Mengen Munition. Neben einigen Flinten und Büchsen, die vermutlich für die jagdgeilen alten Böcke des ZK bestimmt waren, listet das Beschlagnahme-Protokoll vorwiegend modernste Polizei- und Kriegswaffen westlicher Herkunft auf, darunter Pistolen und Maschinenpistolen des Waffenherstellers Heckler & Koch. Der rüstet hierzulande Armee und Polizei mit Schießzeug aus und ist ansonsten für die großzügige Vergabe von Lizenzen und Produkten, vornehmlich an Kunden in der Dritten Welt bekannt. Auch im seit 1986 betriebenen geheimen Auslieferungslager der Imes in Kavelstorf bei Rostock, das von der Stasi bewacht und „bewirtschaftet“ wurde, fanden sich Ballermänner der Marke H&K, daneben Reste westdeutscher Kfz-Kennzeichen. Die betreffenden H&K-Knarren stehen auf der Kriegswaffenliste des Bundesamtes für Wirtschaft. Ihr Export in die DDR war verboten; er wäre allerhöchstens mit einer Cocom-Sondergenehmigung möglich gewesen. Das BAW hat solche Sondergenehmigungen für H&K nie ausgestellt. Die Firma verkauft diese Waffen, etwa die Maschinenpistole MP5, nach eigener Auskunft grundsätzlich nur an staatliche Kunden. Doch wie gelangte das Schießzeug aus dem Westen — offensichtlich illegal — dann in Schalcks Keller? Möglicherweise über Firmen in Drittländern, die H&K-Waffen in Lizenz produzieren, wie etwa die Firma Indep in Portugal, zu der Schalcks Imes-Leute rege Kontakte pflegten. Oder über KoKo-Ableger im Westen. Oder eben über private Waffenschieber wie Schulz. Um Aufklärung bemüht sich derzeit die Berliner Staatsanwaltschaft, die unter dem Aktenzeichen 2JS8/91 gegen den damaligen Hausherrn der Wallstraße17-22 auch wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz ermittelt. Auch die Staatsanwaltschaft in Rottweil nimmt nun offenbar einen neuen Anlauf, um ein schon seit Jahren vor sich hin dümpelndes Ermittlungsverfahren in Sachen Heckler & Koch voranzutreiben.
Fanden auch die DDR-Geschäfte mit H&K-Waffen womöglich unter den zugekniffenen Augen der Regierung statt? Daß die Firma von politischen Instanzen gedeckt wird, hält der Weilheimer Rüstungsexperte und Friedensforscher Erich Schmidt-Eenboom durchaus für möglich. Schließlich sei die Vergabe von H&K-Lizenzen „über Jahrzehnte hinweg ein Instrument bundesdeutscher Außenpolitik gewesen“.
Ein intimer Kenner der Branche behauptet jedenfalls gegenüber der taz, der Waffenhändler Karl-Heinz Schulz habe unbehelligt H&K-Präzisionswaffen des Typs PSG1 in die DDR liefern können. Mit den Schießeisen seien dort sogenannte Diversionstruppen der NVA ausgerüstet worden, etwa Kommando- Trupps des Luftlande-Sturmregiments „Willi Sänger“, die im Kriegsfall hinter den feindlichen Linien kämpfen sollten — in Nato-Kampfanzügen und mit Nato-Waffen. Die Lieferungen seien geduldet worden, da Schulz im Gegenzug einem westlichen Geheimdienst Komponenten des elektronischen Freund-Feind- Erkennungssystems der DDR-Luftabwehr zur Auswertung beschaffte.
Schulz selbst dementiert solche Geschäfte. Doch unüblich waren sie zu DDR-Zeiten keineswegs. Zur Imes-Stammkundschaft gehörten mehrere West-Waffenhändler, die nachweislich als Beschaffungsagenten für westliche Geheimdienste, etwa im Rahmen der Iran-Contra-Affäre fungierten. Mit dem mittlerweile bankrotten saudi-arabischen Waffenhandels-Zar Adnan Kashoggi nahmen Schalcks Emissäre ebenso Kontakt auf wie mit dem syrischen Waffen- und Drogenhändler Monzer Al-Kassar. Und als Imes-Chef Erhard Wiechert im Juni 1985 zu Besprechungen mit der Spedition Jeppesen Heaton Ltd. in London weilte, schaute er routinemäßig kurz bei Mr. Ghassan Ahmed Quassem von der Bank of Credit and Commerce International (BCCI) vorbei, jener Skandalbank, die im vergangenen Jahr als „Weltbank des Verbrechens“ durch die Presse ging und früher zeitweise auch von der CIA benutzt wurde. Es ist ein bekanntes Phänomen in der Grauzone der Geheimdienste, Waffenschieber, Drogendealer und Geldwäscher: Letztere werden von den Diensten selbst immer wieder als Mittelsmänner für inoffizielle Operationen benutzt und bleiben im Gegenzug bei ihren schmutzigen Geschäften unbehelligt.
Auch bei ihren dubiosen Kolumbien-Deals war den Imes-Schiebern offenbar bewußt, daß einige ihrer Partner jenseits der Mauer geheimdienstlich angehaucht waren. Über Dietrich Beekhuis von der Londoner Spedition Jeppeson Heaton Ltd. meldete die HVA, er habe Kontakte zum westdeutschen Bundesnachrichtendienst und zum britischen Geheimdienst. Trotzdem schleuste Imes mehrfach über Jeppeson Westwaffen in die DDR. Im August 1988 reiste ein Imes-Funktionär zu Jeppeson nach London, um ein „spezielles Auftragsgeschäft“ zu arrangieren. Es handle sich dabei, schrieb der Mann später unter seinem Decknamen „Wolfgang Wagner“ in seinem Reisebericht für die Stasi, „erneut um einen Auftragsimport des Staatssekretärs“. Diese Formulierung beweist: Es gab schon früher Geschäfte dieser Art. Und: Staatssekretär Schalck-Golodkowski höchstpersönlich war der Drahtzieher. Bei dem Deal ging es, so „Wagners“ Vermerk, um die Beschaffung von Waffen „der Firma Heckler & Koch London Ltd., die für den Weitertransport nach Kolumbien vorgesehen sind. Das Geschäft wird vermittelt durch Herrn Schulz.“ Zwar sei nicht auszuschließen, daß über Schulz oder Jeppeson West-Geheimdienste von der Sache Wind bekommen. „Wir schätzen allerdings auch ein“, schreibt „Wagner“, immerhin selbst Geheimdienstprofi, „daß es auch in diesem Falle keine Intervention geben wird.“
Einmal irrte Freund „Wagner“: Im Dezember 1988 schlug New Scotland Yard zu.
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