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„Eine kontinentale Suppe“

■ Lateinamerika-Kongreß im Schlachthof: „Die Probleme werden zunehmen“

„Das Problem besteht heute nicht darin, die richtigen Antworten zu geben, sondern darin, die richtigen Fragen zu stellen!“ Dieses Resümee, das der frühere chilenische Linksradikale und heutige Oldenburger Hochschullehrer Fernando Mires schon am Ende des ersten Kongreßtages zog, hätte am Schluß über dem gesamten „Forum America Latina“ stehen können. Acht eigens eingeflogene lateinamerikanische ReferentInnen und zwischen 50 und 200 Bremer TeilnehmerInnen hatten sich passend zum Kolumbus-Jubiläum drei Tage lang in Kulturzentrum Schlachthof mit der Geschichte Lateinamerikas „aus Sicht der Entdeckten“ befaßt und dabei vor allem gemerkt, daß es „die Geschichte“ gar nicht gibt.

„Wir sind heute ein wenig bescheidener geworden, als diejenigen, die mit einfachen marxistischen Maximen an die Realität herangehen“, sagte die deutsch- chilenische Soziologin Elisa Vargas-Koch. Und diese Bescheidenheit in der Analyse führte zu um so größerer Zurückhaltung in der Frage der Perspektiven. „Es kann gar nicht mehr darum gehen, Prozesse zu induzieren“, sagte Vargas-Koch, „wir Wissenschaftler müssen erstmal ein neues, nicht- paternalistisches Verhältnis zur Gesellschaft entwickeln.“ Und Gerardo Zuluaga, Soziologe aus Kolumbien, ahnte: „Die Probleme Lateinamerikas werden zunehmen.“

Selbst diejenigen ReferentInnen des Kongresses, deren Welt nicht die Universität, sondern die angewandte Politik ist, übten sich in strenger Zurückhaltung vor flotten Thesen. „Die nicaraguanische Revolution hat uns vor eine sehr schwierige Frage gesellt“, berichtete Dora Maria Tellez, Comandante der sandinistischen Befreiungsbewegung (FSLN) und nach deren Sieg Vizepräsidentin der Nationalversammlung und Gesundheitsministerin, „nämlich die zentrale Frage nach der Geschwindigkeit der Demokratisierung.“ Zwar hat die FSLN 1990 die demokratischen Wahlen verloren, doch „die Situation hatte davor genau wie heute Vor- und Nachteile“, sagte Tellez vorsichtig. Das gelte genauso auch innerhalb Befreiungsfront selber: Wie kann die im Guerillakampf entstandene Führungsstruktur in demokratische Verhältnisse einer normalen politischen Partei verwandelt werden?

„Die Diskussion hat mich sehr konfus gemacht“, faßte eine deutsche Teilnehmerin des Kongresses zusammen.

Nur wenige Redebeiträge versuchten diese Verwirrung mit festen Bekenntnissen wieder wegzuwischen: „Euer Rückzug auf die kleinen Strukturen und die Entwicklung einer sozialen Demokratie von unten nützt gar nichts“, wandte sich ein Chilene an das Podium, „denn die lateinamerikanischen Eliten leben gar nicht mit dem Volk. Noch immer sind sie das größte Hindernis der Entwicklung Lateinamerikas.“

Fernando Mires antwortete ihm mit einem polnischen Sprichwort: „Es ist leichter, aus einem Aquarium eine Suppe zu machen, als aus einer Suppe ein Aquarium. In Lateinamerika haben wir eine kontinentale Suppe. Wie wird man daraus je ein Aquarium machen können?“

Den meisten Applaus bekam trotz solch schöner Bilder keiner der acht skeptischen Referenten. Lauten Beifall gab es nach jedem Diskussionstag nur für die beiden Simultandolmetscherinnen, die dem Kongreß zwar auch keine Lösungen, zumindest aber sprachlich eine perfekte deutsch- spanische Verständigung bescherten.

Dirk Asendorpf

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