: Eine Nische der Kunst
■ Die Galerie Hulsch in der Emser Straße steht vor dem Aus
Der Gebrauch von Kunst als Medium für politische Aussage und Anklage ist so alt wie die Kunst selbst. In Berlin ist seit dem Mauerfall die Existenz der Kunst an sich zum Politikum geworden. Dabei braucht es diesmal keine Verfechter ideologischer Konzepte, die Aufrührerisches und Volksverhetzendes hinter bestimmten Maltechniken oder Bildinhalten wittern — solche Plumpheiten zählen zu den peinlichsten Relikten deutscher Vergangenheit. Der Freien Marktwirtschaft sei's gedankt, daß man sich heute subtilerer Methoden zu bedienen weiß. In Sachen »Natürliche Auslese« schafft sie mit der Freigabe der Gewerbemieten eine vergleichbare Effektivität, ohne durch lästiges Blutvergießen gepflegte Senatorenfinger schmutzig zu machen. Statt der richtigen politischen Gesinnung interessiert heute, wer den Mietobulus für sein Atelier bei Steigerungen bis zu dreihundert Prozent weiterhin pünktlich auf den Tisch des Vermieters legt — und das dürften in den wenigsten Fällen die politischen unter den Künstlern sein. Aber nicht nur die »Kämpfer« auf den unteren Sprossen der Erfolgsleiter sind von solchen Maßnahmen betroffen: vom Galeristen bis zum kleinen Boutiquebesitzer steht auch dem Einzelhandel das existentielle Aus ins Haus.
In der Wilmersdorfer Galerie Hulsch, Emser Straße 43 hält derzeit noch die Kunst die Stellung. Statt Reizwäsche und Pornoheftchen eines bestimmt lukrativeren Sexshops hängen hier seit dem 30. März die Gemälde des iranischen Künstlers Nader an den Wänden. Mit Grundflächen von mehreren Quadratmetern wirken die opulenten Werke wie überdimensionale Comics aus klassizistischen Zeiten — Gestalten aus germanischen und griechischen Mythen, Kalifen aus dem Morgenland, Wissenschaftler, Philosophen und Mönche verflossener Jahrhunderte, Lenin mit der 'Prawda‘ und die verfallende Silhouette eines antiken Venedigs — der Inhalt seiner Ölgemälde birst von bedeutungsschwangerer Symbolik und zwingt geradezu zum Nachdenken und Philosophieren. Nader, der als politischer Asylant seit 1986 in Deutschland lebt, möchte der abstrakten formalistischen Malerei eine inhaltliche Aussage entgegensetzen. Wichtigstes Thema seiner Bilder ist der Einfluß neuer philosophischer Ideen auf Kunst, Literatur und Politik einer jeweiligen Epoche bei einer vergleichenden Betrachtung der Entwicklung in Europa und Asien. Seine derzeitige Ausstellung versteht er als politische Aktion:
Obwohl Wilmersdorf traditionell zu den »besseren« Bezirken Berlins zählt und die gewendete Stadtsituation keine mit Kreuzberg oder Mitte vergleichbare Aufwertung bedeutet, ist auch hier Mietwucher an der Tagesordnung. Mit einer Steigerung von zweihundert Prozent ist die Galerie Hulsch in der Emser Straße betroffen und — man höre und staune — statt eines skrupellosen Spekulanten hat hier die öffentliche Hand die Finger im Spiel. Seit nunmehr zwanzig Jahren stellt die Galerie ihre Räume immer wieder auch jungen und unbekannten Künstlern zur Verfügung. Wie lange noch, liegt im Ermessen der Bundesvermögensverwaltung, die sich nach Worten ihres Abteilungsleiters John »nicht als Subventionsgeber für die Kultur versteht.« Um einer eventuellen Räumung vorzubeugen, benutzt Nader die Galerie zur Zeit als Atelier. Jantje Hannover
Emser Straße 43, Di.-Fr. 15-18.30 Uhr, Sa. 11-14 Uhr
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