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Wie die US-Justiz Schwarze kriminalisiert

Statistiker stempeln alle schwarzen Männer zu Verbrechern/ Für White Boy die Couch, für Black Boy der Knast  ■ Von M. Sprengel

Washington (taz) — Frauen wechseln die Straßenseite und drücken ihre Handtaschen enger an die Brust, sobald sie in ihre Nähe kommen, Ladenbesitzer verfolgen mißtrauisch jeden ihrer Schritte. Die Rede ist von „young black males“ oder schwarzen Jugendlichen. Die Verbrechensstatistiken sprechen für sich und scheinen die Angst vor den schwarzen Teens und Twens nur zu bestätigen. In der US- Hauptstadt Washington etwa hatten nach einer kürzlich veröffentlichten Studie 42 Prozent aller männlichen Schwarzen zwischen 18 und 35 im letzten Jahr mit der Strafjustiz zu tun. 15 Prozent waren hinter Gittern, 21 Prozent gerade auf Bewährung entlassen, und weitere sechs Prozent standen auf der Fahndungsliste der Polizei. Erschreckender ist aber fast die Feststellung des „National Center on Institutions and Alternatives“, daß 85 Prozent aller schwarzen Männer in Washington irgendwann in ihrem Leben einmal verhaftet worden sind.

Was war zuerst da: die Henne oder das Ei? Ist das „kriminelle Potential“ bei Schwarzen tatsächlich höher als bei Weißen (die in der Studie nicht berücksichtigt wurden, weil ihre Zahlen zu vernachlässigen waren), oder legt die Justiz bei ihnen strengere Maßstäbe an, weil sie schwarz und deshalb vermeintlich gefährlicher sind? So demonstrierte beispielsweise die Verurteilung des Boxers Mike Tyson wegen der Vergewaltigung einer schwarzen Schönheitskönigin für den Regisseur Spike Lee einmal mehr, daß das amerikanische Justizsystem rassistisch und völlig aus dem Gleichgewicht gekommen ist. Während der Kennedy- Abkömmling William Smith in einem ähnlichen Prozeß völlig ungeschoren davongekommen sei, habe man Tyson gleich für sechs Jahre ins Zuchthaus gesteckt.

Das Mißtrauen der Schwarzen gegenüber einer auch dreißig Jahre nach der Bürgerrechtsbewegung immer noch weiß dominierten Gesellschaft geht bei einigen so weit, daß ihnen Theorien von einer weißen Verschwörung durchaus plausibel erscheinen. Alles, von der höheren Kriminalitätsrate über die Verbreitung von Aids bis hin zu Armut und Arbeitslosigkeit, wird in diesem Licht interpretiert.

Jerome Miller, der als Präsident des „National Center on Institutions and Alternatives“ für die Studie über schwarze Kriminalität verantwortlich zeichnet, sieht in der Tat eine Tendenz, sogenannte Jugendsünden bei Kindern aus armen Verhältnissen härter zu bestrafen als bei Jugendlichen aus gutsituierten Mittelklassefamilien. Und arme Familien sind in den US-Städten nun einmal vor allem schwarz. Während der weiße Jim Boy also seinen Kopf im Internat geradegerückt bekommt oder auf dem Sofa eines Psychiaters für die Gesellschaft gerettet wird, hat das schwarze Kid meist weniger Glück. Dem kleinen Ausrutscher folgt eine relativ harte Bestrafung, die — weil stigmatisierend — den Jungen erst wirklich kriminalisiert. „Wir benutzen unsere Strafjustiz, um mit einer ganzen Reihe von Problemen umzugehen, die in erster Linie soziale Probleme sind, und machen in der Folge alles nur noch schlimmer“, warnt Miller.

Die Millionen, die der amerikanische Staat ausgibt, um diese Kleinkriminellen einzufangen und mit den wirklich harten Jungs in eine Zelle zu sperren, wären an anderer Stelle um ein Vielfaches sinnvoller ausgegeben. Zum Beispiel für Sozialprogramme, die die Kids vor allem in der schulfreien Zeit — wenn sie auf dumme Gedanken kommen — oder später in der Arbeitslosigkeit auffangen würden. Unter einer Regierung, die versprochen hat, hart gegen Kriminelle durchzugreifen und gleichzeitig Sozialleistungen zu kürzen, müssen solche Ideen allerdings ins Traumreich verwiesen werden. Und selbst wenn im November ein Demokrat Präsident werden sollte, wird auch er sich davor hüten, das Ruder herumzureißen. Almosen für Schwarze sind out, seitdem im Zuge der Rezession alle den Gürtel enger schnallen müssen.

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