: Serbische Oppositionelle unter Druck
Die Regierungspropaganda ist erfolgreich: Die meisten SerbInnen glauben ihr/ Die parlamentarische Opposition hat sich auf populistische Positionen zurückgezogen/ Wer kann, verläßt das Land ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler
Vor einigen Tagen noch verschönerten Plakate und Spruchbänder ungewöhnlichen Inhalts das Zentrum von Belgrad. „Stoppt den Krieg in Bosnien“ war ein Motto, unter dem am letzten Mittwoch an die zweitausend Jugendliche einem Friedenskonzert lauschten. Dann jedoch war der Anti-Kriegs-Spuk schon wieder vorbei. Inzwischen bestimmen die Propagandisten für ein Großserbien wieder das Straßenbild. Da kann man sich an einem Stand für die Freischärler-Armee des „Vukovar-Befreiers“ Arkan einschreiben lassen, an einem anderen Kampfschriften des Cetnik-Führers Vojislav Seselj erstehen oder einfach einem Sänger lauschen, dessen Lieder für sich sprechen: „Wer sagt, Serbien sei klein, dem werden wir es zeigen — ins Grab mit ihm hinein.“
Als am Freitag das serbische Parlament über das „Diktat der USA“ gegenüber Serbien dabattierte, wies man alle Anschuldigungen zurück. Kein einziger Volksvertreter verurteilte die Aggressionspolitik der serbisch dominierten Bundesarmee in Bosnien, auch nicht die der parlamentarischen Opposition. Nicht die oppositionellen Demokraten, nicht einmal Vuk Draskovic meldeten sich zu Wort, sondern sie überließen den Abgeordneten der regierenden Sozialisten unter Slobodan Milosevic das Rednerpult. Und die holten weit aus: Das „faschistische Bonn“, so der Sozialist Milan Janic, plane eine „Weltverschwörung“, um „das serbische Volk, das größte Volk auf dem Balkan“, zu zerschlagen.
Die einzige kritische Stimme in dieser Debatte kam von dem Sozialisten und Universitätsprofessor Mihailo Markovic. Er warnte vor einer „Hysterie“ und fragte, ob vielleicht doch etwas Wahres daran sein könne, wenn das Weiße Haus die serbische Politik — aber nicht das serbische Volk, wie er ausdrücklich betonte — als den Hauptverantwortlichen für den Krieg in Bosnien brandmarke. Bezeichnenderweise wurde Markovic von seinen eigenen Parteifreunden ausgebuht.
„Ein schlechtes Zeichen“, so bewertet Dragomir Olujic, ein stadtbekannter Altdissident und Politologe die parlamentarische Auseinandersetzung mit dem Krieg in Bosnien. „Von Mihailo Markovic weiß man ja— er ist immerhin der persönliche Berater von Milosevic — daß seine Aussage von oben abgesegnet ist. Milosevic hat möglicherweise verstanden, was man ihm in Washington und Brüssel gesagt hat. Er würde vielleicht auch einlenken, aber die Mehrheit der Parteibürokraten will allem Anschein nach den Kriegskurs beibehalten.“ Was ihn noch mehr bedrücke, sei das Verhalten der parlamentarischen Opposition: Es sei keine Politik, alle Seiten gleichermaßen für den Krieg in Bosnien verantwortlich zu machen. Dieser Populismus bringe nicht weiter.
Morddrohungen gegen serbische Oppositionelle
Die Mehrheit der Serben glaubt auch deshalb an die Regierungspropaganda. Als kürzlich die Tageszeitung 'Borba‘ eine Liste der serbischen Toten veröffentlichte, die bei der „Befreiung“ (4.4.) der bosnischen Kleinstadt Bijeljina ihr Leben ließen, gab es zwar Proteste. Denn an den Namen war abzulesen, daß alle toten Zivilisten Muslimanen waren. Selbst Vuk Draskovic nannte in einem Interview die Totenliste „eine geschmacklose Propaganda“. Doch das sind Einzelbeispiele. Die wenigen kritischen Intellektuellen Belgrads leben in Angst und Schrecken. Nicht nur Dragomir Olujic erhält regelmäßig Morddrohungen, auch Stojan Cerovic, Leiter des Belgrader Anti-Kriegs-Zentrums wird ständig mit dem Tode bedroht. Cerovic: „Da mußt du dauernd deinen Wohnsitz wechseln, und dann kann es doch noch passieren, daß dich irgendein Idiot erschießen wird.“
Gegen Schriftsteller wie den serbischen Dramaturgen Mirko Kovac wird sogar öffentlich zum Mord aufgerufen. Vojislav Seselj unumwunden: „Dieser Verräter gehört ausgeschaltet.“ Kovacs Verbrechen: In Zeitungsartikeln erklärte der Schriftsteller, seitdem Milosevic an die Macht gekommen sei, hätten Zehntausende Menschen ihr Leben verloren, nicht erst im Krieg gegen Slowenien und Kroatien, sondern bereits bei friedlichen Demonstrationen der Kosovo-Albaner habe die serbische Regierung mit Mord geantwortet. Wer dieser Tage bei Mirko Kovac an die Wohnungstür klopft, findet diese verschlossen. Nur die Nachbarn werden schnell hellhörig. Und sie erklären unumwunden, daß „dieser Verräter sich hier bloß nicht mehr blicken lassen soll“.
Wie viele Oppositionelle schwimmen noch gegen den Strom? Dragomir Olujic schmunzelt und gibt eine „sichere Adresse“: vor den westlichen Botschaften. Täglich bilden sich vor den Visaabteilungen lange Schlangen. Schlangen, die immer länger werden.
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