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Ein Ergebnis „wie bei Honecker“

■ ICE fuhr am Sonntag noch, aber bei den Eisenbahnern ist die Stimmung kämpferisch

Die zwei Minuten Verspätung der U-Bahn sind noch kein Streik. Und auch auf dem Frankfurter Hauptbahnhof gehen die Züge am Sonntag wie gehabt. Der ältere Herr am Informationsschalter der Deutschen Bundesbahn ist Beamter und mißtrauisch: „Das müßten Sie doch wissen“, sagt er strafend, „daß ich überhaupt nicht streiken darf!“ Und dann vermutet er, daß hier heute auch ohne ihn gar nichts laufen werde in Sachen Eisenbahnerstreik. Und morgen auch nicht: „Das geht zuerst in Norddeutschland los.“ Und: „Der ICE fährt!“

Am Freitag nachmittag hatten seine nichtbeamteten KollegInnen während der Urabstimmung andere Fährten gelegt. „Kommen Sie mal am Montag, vielleicht schon Sonntag nacht, auf den Hauptbahnhof!“ Die Frage, ob zum Beispiel der ICE fahren werde, beantworteten sie sybillinisch. Der werde schon fahren — „fragt sich nur wann und wie lange!“ Denn: Die Lokführer sind Beamte und somit nicht streikberechtigt, ZugbegleiterInnen, Wartungs- und Stellwerkpersonal aber dürfen in den Ausstand.

Die Stimmung ist kämpferisch bei den Eisenbahnern. Vor allem das Schalterpersonal will mehr Geld und eine Aufwertung seines Dienstes, der sich, sagen sie, in den letzten Jahren einschneidend verändert habe. Sie sind in Frankfurt hochqualifiziert, arbeiten an Computerbildschirmen, suchen blitzschnell passende Zugverbindungen heraus, beantworten Fragen in mehreren Sprachen. Dafür bekommen sie, so einer von ihnen empört, „weniger Geld als die Schreibtischhengste im Innendienst“, weil der Außendienst generell schlechter bezahlt werde als die Verwaltung. Sein Kollege rät ironisch: „Trotzdem immer höflich bleiben“ und erinnert daran, „daß wir schließlich auch noch Psychologen sein müssen.“ Das ist auch gerade besonders nötig, denn etliche Reisende erkundigen sich besorgt, ob ihre Züge denn auch fahren werden. „Das“, weiß der erste Bevollmächtigte Walter Lautz, „wüßten die Arbeitgeber zur Zeit auch gern.“

Das Wartungspersonal an Gleis 7 ist sauer. Es flucht auf die „faulen Krawattentypen“, die sich nie da sehen ließen, „wo wirklich gearbeitet wird“. Und macht damit seiner Verärgerung über die wenigen „Ausreißer“ bei der Urabstimmung Luft. Das Gesamtergebnis von über 96 Prozent Zustimmung in den meisten der 25 bei der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) in der Beethovenstraße ausgezählten Dienststellen in Frankfurt und Umgebung sei „denen“ jedenfalls nicht zu verdanken. Im Frankfurter Hauptbahnhof haben 99,26 Prozent für den Streik votiert. „Das ist ja“, sagt ein Kollege in der Bezirksverwaltung, „wie bei Honecker.“ Und freut sich doch. „Jeden einzelnen“ hätten sie in den letzten Wochen persönlich angesprochen. Der Organisationsgrad ist mit über 80 Prozent hoch bei den Eisenbahnern. Sie sind nicht nur, wie in Hanau, geschlossen zur Wahl gegangen, sondern haben oft genug auch „mit 100 Prozent ja gesagt“.

Auch mancher leitende Angestellte hat diesmal ein Auge zugedrückt und die Organisation der Urabstimmung leicht gemacht. „Die Chefs haben“, vermutet ein Funktionär, „auch Muffe, daß sie demnächst wegrationalisiert werden.“ Bis zum Sommer soll Verkehrsminister Krause schließlich ein neues Sanierungskonzept für die defizitäre Bundesbahn auf den Tisch legen, mit dem Bundes- und Reichsbahn gemeinsam in Richtung weit entfernter schwarzer Zahlen fahren sollen. Aber auch der teilprivatisierte Arbeitgeber Bahn hätte nichts zu lachen. Bei der jetzt schon auf eigene Rechnung rollenden Frankfurt-Königssteiner-Eisenbahn haben sich 59 der 60 Arbeiter und Angestellten für den Streik ausgesprochen. Heide Platen, Frankfurt

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