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Verdammt unabhängig

■ Kevin Ayers spielte am Sonntag im Quasimodo

Kevin Ayers ist ein Musiker, der gern mit dem Attribut »Rocklegende« versehen wird. Das verheißt oftmals nichts Gutes, vor allem wenn der Musiker selbst heimlich daran glaubt. Kevin Ayers scheint solch einen Strohhalm zur Aufrechterhaltung nicht zu brauchen. Er hat in der Vergangenheit in einer Band namens Soft Machine gespielt, das war so um 1968. Ein Teil seines heutigen Publikums spielte damals noch in der Sandkiste, einige der Geschwister blockierten währenddessen Straßenbahnschienen.

Um etwas Legendäres angedichtet zu bekommen, ist es notwendig, nach dem Erfolg in der historischen Versenkung zu verschwinden. Ayers hat nach dem Verlassen von Soft Machine diverse Soloprojekte verfolgt und wohnt heute angeblich (»zurückgezogen« würde es bei einem Star heißen) auf Mallorca.

Auf der Bühne des Quasimodo versprüht er denn auch etwas vom Charme eines Posträubers. Dezent gebräunt, vom Whiskey nicht zu angetrunken, die Haare schön lang, daß sie einigermaßen ungepflegt und wild ins Gesicht fallen, nimmt man ihm den Dauerurlauber fast ab. Er zelebriert kein krampfhaftes Comeback — Ayers scheint einfach Lust zu haben, uns mal eben die Stücke seiner neuen Platte vorzustellen. Nach sechs kurzen Titeln kündigt er erst mal eine Pause an. Bloß kein Streß ist seine Devise, und das trifft sich gut mit der Stimmung an einem der ersten warmen Abende im Jahr.

Ayers Band, mit einer Keyboarderin, einem Bassist und einem Schlagzeuger aus Argentinien plus einem ziemlich guten Gitarristen von irgendwo, scheint über den eigenen Erfolg überrascht. Mit jedem Beifall macht es den Musikern mehr Spaß, Dampf abzulassen und den Rock 'n' Roller zu mimen. Endlich einmal keine abgeklärte Profi-Altherren- Combo, die versucht, ihrer Historie hinterherzurennen.

Ayers hat den gepflegten Insel- Blues. In May I? singt er von den amüsanten Versuchen, sich zu einer Lady im Café an den Tisch zu setzen, um einfach nur ein wenig Gesellschaft zu haben, wenn alle anderen am Strand in der Sonne liegen. Ayers scheint einer der wenigen, die die potentielle Peinlichkeit einer solchen Rockballade in sanfter Relaxtheit auflösen. Sein Gitarrist, der einmal in den Applaus hinein, wie nebenbei sagt: You make an old man happy, steuert ein weiteres fulminantes Solo bei. Alle Musiker fragen laut singend ins Publikum hinein Why are we sleeping? Der Schlagzeuger wirbelt mit viel Hall durch die Trommeln, und jetzt sind langsam alle wach.

Die Fans fordern die fünfte oder sechste Zugabe, die Band kommt immer wieder, obwohl sie sich zigmal winkend verabschiedet hat. Das wirklich letzte Stück des Abends, I don't depend, scheint Kevin Ayers Lebensmaxime zu beinhalten: Ich bin nicht von euch abhängig, und ich hoffe, auch ihr seid von niemandem abhängig.

Das ist irgendwie einleuchtend, und auch ich beginne mich endlich mal wieder verdammt unabhängig zu fühlen, bis zu dem Moment, als ich auf der Straße merke, daß soeben die Bus- und U-Bahn-FahrerInnen den Dienst quittieren. Andreas Becker

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