: Bundespräsident von Haiders Gnaden
■ Keine absolute Mehrheit beim ersten Wahlgang für das Bundespräsidentenamt/ Stichwahl zwischen Sozialdemokrat Streicher und Konservativem Klestil/ FPÖ-Wahlempfehlung dürfte Ausschlag geben
Berlin/Wien (taz/afp/ap) — Wer nach Waldheim in die Wiener Hofburg einziehen wird, ist noch offen. Fest steht aber bereits, daß Jörg Haider, der gar nicht für das repräsentative Amt an der Spitze des österreichischen Staates kandidiert hat, wieder einmal Wahlgewinner ist. Die Kandidatin seiner rechtsextremen Freiheitlichen Partei (FPÖ), Heide Schmidt, gewann bei der Wahl am Sonntag zwar nur den dritten Platz und darf nicht an der Stichwahl teilnehmen. Doch die Stärke der FPÖ reicht aus, um zu entscheiden, wer der künftige „Herr Bundespräsident“ wird — der Sozialdemokrat Josef Streicher oder der Konservative Thomas Klestil.
Beim ersten Wahlgang am Sonntag fiel das Ergebnis überraschend knapp aus. Der zuvor als Favorit gehandelte ehemalige Verkehrsminister Streicher (SPÖ) schnitt mit 40,7 Prozent besonders schlecht ab. Sein Gegner Klestil von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), der den Wahlkampf als beinahe Unbekannter begonnen hatte, errang mit 37,2 Prozent wesentlich mehr Stimmen als erwartet. Heide Schmidt, einzige Frau im Wahlkampf und liberale Vorzeige-Politikerin der FPÖ, erzielte 16,4 Prozent der Stimmen. Auf den Zukunftsforscher Robert Jungk, den die Grünen aufgestellt hatten, entfielen 5,7 Prozent.
Nachdem keine absolute Mehrheit zustande kam, findet am 24. Mai eine Stichwahl zwischen den beiden Spitzenkandidaten statt.
Klestil (59) blieb mit dem Ergebnis deutlich unter dem seines Parteikollegen Waldheim, der vor sechs Jahren im ersten Wahlgang mit 49,6 Prozent nur ganz knapp die absolute Mehrheit verfehlt hatte, bevor er sich in der Stichwahl gegen den Sozialdemokraten Steyrer durchsetzte. Gegenüber der letzten Parlamentswahl im Oktober 1990 lag der Berufsdiplomat Klestil jedoch um rund fünf Prozent über dem Ergebnis der ÖVP, während Streicher (53) um zwei Prozentpunkte hinter dem Ergebnis der SPÖ zurückblieb. Schmidt hielt das Ergebnis der FPÖ. Jungk erzielte ein etwas besseres Resultat als die Grüne Partei im Oktober 1990.
Der siebente Bundespräsident Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg wird am 8. Juli in sein Amt eingeführt. Das Staatsoberhaupt der Alpenrepublik hat vor allem zeremonielle Aufgaben. Doch die ÖsterreicherInnen haben hohe Erwartungen an den neuen Mann in der Hofburg. In den vergangenen sechs Jahren war Wien international weitgehend isoliert. Seine von ihm selbst verschwiegene Vergangenheit als Reichswehroffizier wurde Waldheim weltweit mit Ausnahme einiger arabischer Staaten verübelt. Der Neue soll Österreich in den kommenden sechs Jahren auf dem von der Regierung gewünschten Weg in die EG begleiten.
VertreterInnen der ÖVP sprachen von einem „eindeutigen Erfolg“. Der SPÖ-Vorsitzende und Bundeskanzler Franz Vranitzky versuchte die Katerstimmung seiner Partei zu dämpfen. Er meinte, es gebe zwar noch keinen endgültigen Sieger, „aber einen, der der 50-Prozent- Marke am nächsten gekommen ist und damit die besten Chancen für einen endgültigen Erfolg hat, nämlich Rudolf Streicher“.
Beim zweiten Wahlgang kommt es jetzt vor allem darauf an, für welchen der beiden Kandidaten sich jene WählerInnen entscheiden, die am Sonntag Schmidt ihre Stimme gegeben haben. Die Grünen-WählerInnen allein reichen nicht aus, um die Wahl zu entscheiden. Der Konservative Klestil kann mit einem erheblichen Anteil der Stimmen aus dem Lager der Rechtsextremen rechnen. Auch wenn FPÖ-Chef Haider bislang offenließ, ob er für einen der beiden übriggebliebenen Kandidaten eine Wahlempfehlung abgeben wird.
Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 84 Prozent deutlich unter den 89,5 Prozent der letzten Präsidentschaftswahl. Damals hatte die Kontroverse um Waldheims Vergangenheit besonders viele ÖsterreicherInnen an die Urnen mobilisiert. In den nächsten vier Wochen könnte es erneut zu Polarisierungen kommen. Nach einem lauen Wahlkampf vor dem ersten Durchgang, bei dem es viel um Personen und fast gar nicht um Themen ging, dürfte jetzt Haiders Lieblingsthemenpalette aufgefahren werden: ImmigrantInnen, Asyl und „Sozialschmarotzer“. dora
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