Ein düsteres Bild von der Lage der Jugend

Hamburg (taz) — Ein düsteres Bild von der bundesrepublikanischen Jugend zeichnete Bundesfrauen- und Jugendministerin Angela Merkel (CDU) gestern in ihrer Eröffnungsrede zum 9. Jugendhilfetag, zu dem 30.000 BesucherInnen in Hamburg erwartet werden. Die Heranwachsenden in beiden Teilen Deutschlands zahlten den Preis für Umstände, die sie nicht beeinflussen könnten: Arbeits- und Wohnungslosigkeit sowie zunehmende Gewalt. Die politische Verantwortung dafür übernahm die Brandenburgerin jedoch nicht. Es komme vielmehr darauf an, den Mädchen und Jungen zu vermitteln, das vor allem eigenes Engagement aus der Misere helfe.

Kritik an den Bundesländern übte Angela Merkel wegen dem Mangel an Kinderbetreuungsplätzen. Daß es in 45 Jahren Sozialstaatlichkeit nicht gelungen sei, die Lücke von 600.000 Plätzen zu füllen, sei eine bedrückende Bilanz. Es gelte bundesweit einen Rechtsanspruch auf Betreuungsmöglichkeiten zu schaffen. Insgesamt müsse die Politik sich der Tatsache stellen, daß 80 Prozent der Jugendlichen sich von den Politikern hintergangen fühlten und ihnen nur noch von 16 Prozent globale Lösungskompetenz zugetraut werde.

Dietrich Unger, Vorsitzender des Arbeitsgemeinschaft Jugendhilfe, rügte das bundesdeutsche Ausländergesetz. Dieses konterkariere zum Teil die Jugendarbeit. So könne die Inanspruchnahme von sozialpädagogischen oder erzieherischen Angeboten zur Ausweisung der jungen Ausländer führen. Auf diesem Hintergrund sei die notwendige Hinwendung zur multikulturellen Gesellschaft schwierig. Für die Zukunft sei aber nicht nur die rechtliche, sondern auch die materielle Absicherung junger Ausländer notwendig.

Bis einschließlich Mittwoch diskutieren die Teilnehmer des Jugendhilfetages in über 70 Fachveranstaltungen. Die Themenpalette ist groß: Von Mädchenprojekten, über Vermeidung von Fußballrandale bis hin zur beruflichen Bildung ist die ganze Vielfalt der Jugendarbeit repräsentiert.

Drei Schwerpunkte hat der Hauptveranstalter, die Arbeitsgemeinschaft Jugend (AGJ), darüber hinaus gesetzt: Die Veränderung der Lebenswelten der Jugendlichen hin zum Einzelkind mit alleinerziehenden Eltern, das Zusammenleben mit AusländerInnen insbesondere mit Blick auf den europäischen Binnenmarkt ab 93 und die Zunahme rechtsradikaler Tendenzen. Neben den Fachveranstaltungen stellen sich auf dem Markt der Jugendhilfe in den Messehallen rund 320 Jugendhilfeorganisationen mit Infoständen vor. Sigrun Nickel