: Reformprogramm noch ohne Konturen
IWF nimmt ehemalige Sowjetrepubliken auf/ Rußland will im Sommer Rubel-Wechselkurs festlegen/ Bei Weltbank-Experten überwiegt Skepsis/ Sie setzen auf Reformen im Agrar- und Ölsektor ■ Aus Washington Donata Riedel
Solange vergangene Woche der Volksdeputiertenkongreß in Moskau tagte, war der Internationale Währungsfonds (IWF) voll des Lobes über das sogenannte Schattenprogramm der russischen Regierung. Direkt nach der Frühjahrstagung des IWF-Interimsausschusses sollte dieses Programm aus dem Schatten heraustreten und russische Regierungspolitik werden. Doch bei Licht besehen ist in den vergangenen Tagen hier in Washington nicht nur der Schatten, sondern auch die Kontur des Reformprogramms verschwunden. Welche Schritte in welchen Zeiträumen welche Verbesserungen für das russische Wirtschaftssystem und damit für die Lebensbedingungen der rund 150 Millionen Menschen in der größten der 15 ehemaligen Sowjetrepubliken bringen sollen — diese Fragen stellten die rund 300 JournalistInnen dem russischen Vize-Premierminister Jegor Gaidar am Montag abend vergeblich.
Genaue Zahlen über die Wirtschaft könne er in der derzeitigen unsicheren Lage nicht nennen, erklärte Gaidar nach der Sitzung des Interimsausschusses, auf der Rußland und die übrigen Republiken als neue IWF-Mitglieder aufgenommen worden waren. Im Mai soll nun das russische Parlament die Mitgliedschaft ratifizieren. Dann könnte das Hilfsprogramm über 24 Milliarden Dollar, das die sieben reichsten Industrieländer (G-7; USA, Japan, Bundesrepublik, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanda) am Sonntag abend verabschiedet haben, im Prinzip anlaufen — jedenfalls wenn die russische Regierung bis dahin die daran geknüpften Bedingungen erfüllt.
Um das Hilfsprogramm finanzieren zu können, haben die G-10-Länder (neben den G-7-Staaten die Länder Belgien, Niederlande, Schweden und das Nicht-IWF-Mitglied Schweiz) sogar das nur für Notfälle vorgesehene GAB-Finanzierungsprogramm aktiviert (s.Kasten). Der Fonds, so die Minister der elf G-10- Länder in ihrem Kommuniqué, brauche finanzielle „Ergänzungen“ für den Rubel-Stabilisierungsfonds. Bis heute allerdings ist nicht einmal absehbar, wie die Rubel-Zone am Ende des Jahres aussehen wird. Für Gaidar ist es „das Territorium der ehemaligen Sowjetunion einschließlich der baltischen Länder“, weil der Rubel dort noch überall in Umlauf ist. Daß zumindest die Ukraine und die Balten-Staaten am liebsten morgen schon ihr eigenes Geld drucken würden, ist allerdings kein Geheimnis.
Der russische Vize-Premier bezeichnete den Rubel als „unterbewertet“ und sagte, er hoffe, daß bis Juli ein fester Wechselkurs zum US- Dollar gefunden werden könne, der dann nur noch um höchstens 7,5 Prozent nach oben oder unten abweichen solle. Weltbankexperten sahen in Hintergrundgesprächen hingegen eher die Gefahr, daß sich in Rußland in diesem Jahr eine Hyperinflation von bis zu 1.000 Prozent wie zur Rezessionzeit der 30er Jahren den USA bilden könne. Der Produktionsausstoß ist nach Aussagen eines Weltbank-Delegationsleiters, der in jüngster Zeit häufig in Rußland war, im vergangenen Jahr um zehn Prozent gefallen, 1992 könnten es leicht weitere zwölf Prozent sein.
Einen Grund dafür sieht der Experte darin, daß die Planbürokratie zwar gewöhnt war, mit Tonnen von Eisen und Stahl umzugehen, nicht jedoch mit diversifizierten Produktionsprozessen. Außerdem sei die Nachfrage gesunken (so gingen die Importe um 40 Prozent zurück), und die Manager der Monopolbetriebe könnten sich auf Wettbewerb nur schwer einstellen. Die Weltbank, deren Experten nach Meinung von russischen Journalisten mehr von Rußlands Wirtschaft verstehen als die Regierung selbst, schlägt vor, sich zunächst bei den Reformen auf den Agrar- und Ölsektor zu konzentrieren, weil mit diesen Produkten Devisen erwirtschaftet werden könnten. Und die werden dringend benötigt, sind doch die Devisenreserven Rußlands auf 60 Millionen Dollar zusammengeschmolzen.
Für Rußland sehen die Weltbankexperten wegen der Ölvorkommen noch die besten Chancen für eine baldige Erholung. Wenn der Handel mit den Republiken zu Weltmarktpreisen funktionieren würde, hätte Rußland einen Leistungsbilanzüberschuß von 20 Milliarden Dollar im Jahr — und die anderen Republiken ein entsprechend hohes Defizit.
Die Weltbank lobte allerdings die russische Regierung für ihre „absolute Überzeugung“, daß die Zukunft des Landes von Reformen abhängig sei. Andererseits glaubt bei IWF und Weltbank kaum jemand, daß Jelzin länger als bis Ende des Jahres per Dekret weiterregieren kann. Das IWF- Programm ist in seinen Grundsätzen verabschiedet worden, im Detail haben die Fonds-Experten noch viel daran zu arbeiten.
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