piwik no script img

Adieu Courage

■ Letzter Vorhang für die »Mutter Courage« am Berliner Ensemble

Was wird aus dem Loch, wenn der Käs' gefressen ist?« fragt der Feldprediger in Brechts Mutter Courage. Was wird aus dem BE, wenn die Mauer gefallen ist? fragten angesichts der Diskussion um die Berliner Theater vergangenes Jahr viele, die von der künstlerischen Diktatur der Brecht- Erben und den verstaubten Brecht- Inszenierungen aus dem Hause Wekwerth schon lange die Nase voll hatten. Nun sind die Würfel gefallen, in der kommenden Spielzeit werden Matthias Langhoff, Peter Zadek, Peter Palitzsch, Heiner Müller und Fritz Marquardt das traditionsreiche Haus am Schiffbauerdamm übernehmen. Die alten Inszenierungen — allesamt »unechte Originale« (Ivan Nagel in seinem Gutachten) — die zur Zeit noch das Haus mit theaterfolkloristisch interessierten Berlin-Touristen füllen, müssen nun der längst überfälligen Erneuerung weichen.

Und so wird heute abend Gisela May zum letzten Mal auf ihren »Spezereien-Wagen« steigen und auf der Drehbühne des Berliner Ensembles durch den Dreißigjährigen Krieg irren. Die »Mutter Courage« war eine ihrer Glanzrollen. Sie spielte sie mit Unterbrechungen seit dem 3. Oktober 1978, also fast vierzehn Jahre lang, zweihundertsechzehnmal. Ein Stück Theatergeschichte.

Jene Inszenierung von Peter Kupke, für die heute abend nun also der allerletzte Vorhang fallen wird, entstand im Jahr 1 nach dem unfreiwilligen Abgang der BE-Reformerin Ruth Berghaus. Unter der Regentschaft von Martin Wekwerth dominiert im Bühnenbild (Manfred Grund) wieder der bis ins akribisch rekonstruierte Marketenderwagen, den bereits 1949 Helene Weigel über die Drehbühne zog. Auch sonst erinnert viel an die legendäre Nachkriegsinszenierung des Hausherren Brecht. In langen dreieinhalb Stunden erzählt, singt und spielt Gisela May die Geschichte der Mutter Courage, die mit dem Krieg ihre Gewinne macht und selbst nicht merkt, daß sie am Ende draufgezahlt hat.

Gisela May wurde 1962 noch von Helene Weigel selbst an die Brecht- Bühne geholt. Neben der Courage spielt sie am BE zur Zeit noch die Celia Peachum aus der Dreigroschenoper. Ob die May auch in der kommenden Spielzeit am BE bleiben wird, ist zur Zeit noch nicht bekannt. Immerhin kann sie, die nicht nur als Schauspielerin, sondern auch als Interpretin der Brecht-Songs berühmt wurde, ihre Gewinne auch weiterhin mit dem Erbe Brechts machen. Was aus den anderen Berliner-Ensemblemitgliedern wird, ist dagegen bislang noch ungewiß. Klaudia Brunst

Mutter Courage heute um 19.30 Uhr zum letzten Mal im Berliner Ensemble, Bert-Brecht-Platz 1.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen