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Alle im Schafspelz

■ Eine Diskussion über das Feuilleton, das literarische vor allem

Nachricht: Am Dienstag abend trafen sich Ursula Escherig ('Tagesspiegel‘), Thomas Rietzschel ('FAZ‘), Elke Schmitter (taz), Georgia Tornow ('Berliner Zeitung‘) und Roland H. Wiegenstein (Kritiker für WDR und 'FR‘), um über das »Berliner Literatur-Feuilleton« — berichtigt: literarisches Feuilleton — unter der Leitung von Claus-Ulrich Bielefeld und eingeladen vom Literarischen Colloquium zu diskutieren. (Das langweilt Sie. Dann hören Sie auf zu lesen.)

Szenebericht: An prominentester Stelle die Frau in Rosa mit dem Großvertrag (»zuständig für Kultur/ Gesellschaft/Geistiges Leben«): Dank ihres energischen Diskussionsstils fliegt der Moderator schon in der Vorstellungsrunde aus seinem Konzept. Ausgebootet auch bald der Herr zu ihrer Rechten, der für Subjektivität streitende 'FAZ‘-Kritiker. Er muß sich vom Gesinnungsethiker Wiegenstein gefallen lassen, daß er Feuilletondebatten (über Christa Wolf zum Beispiel) zwar anzetteln dürfe, aber bitte schön nicht als Wolf im Schafspelz. Damit ergibt sich auf unserer Sympathieskala ein Sieg nach Punkten für... (Das ist Ihnen zu blöd. Sie müssen nicht weiterlesen. Kommen wir zum inhaltlichen Teil.)

Das Feuilleton der Geschwindigkeit: (nach C.-U. Bielefeld) schnell wie der wind/ husch und eil,/ muss'es sein, sekundenhoch vor der zeit,/ reflex auf Gründer-/Nachkriegs/NachderMauerZeit,/ wendig, verschraubt, verstiegen/ ironisch, irrlichtern, zyankalisch,/ ort des widerstands aber auch/ schrift als on-line, denken als simulacrum.

Das Feuilleton als Lückenbüßer: (nach Elke Schmitter): Ich bin entschieden anderer Meinung. Was soll die Rede vom »Ihr dürft ironisch, expressiv, zynisch sein«? Das Feuilleton als Entlastungsanstalt für das, was auf den vorderen Seiten, im politischen Teil, nicht vorkommen darf. So ein Feuilleton hat die Funktion einer Witzseite, ist eine Erbärmlichkeit.

Das Feuilleton als Zeitdiagnose: (frei nach Roland H. Wiegenstein) Es ist unsere Aufgabe, gegen die Raschheit, den schnellen Konsum die Langsamkeit zu setzen. Wir wollen keine Videoclipästhetik, keine postmoderne Beliebigkeit. Unsere Texte müssen anstrengend sein, sich durch argumentative und sachliche Kompetenz auszeichnen, Begründungszusammenhänge herstellen. Wir können die Welt leider nicht bessern durch unser Wort. Wir müssen uns auf die Diagnose, den Kommentar beschränken.

Das Feuilleton als Lebenshilfe: (frei nach Georgia Tornow) Bislang kommt Kultur in unsere Zeitung an ganz verschiedenen Plätzen vor. Wir sind dem alten Rezensionsstil noch immer sehr verhaftet. Wir müssen den Bestand überprüfen. Im Mai soll das Layout umgestellt werden: Das Feuilleton muß sehr modern sein. Es muß auf Neues aufmerksam machen, zum Staunen anregen, die kulturelle Differenz (kein Flächenbombardement, sondern surgical strike!) aufwerfen. Ich will eine lebendige Kulturseite. Und bin sehr stolz darauf, daß wir z.B. eine Serie über das »Digitale Attentat« (Fotografie, Musik, Cyberspace) hatten, die neue technische Entwicklungen im Feuilleton diskutiert. »Das gepflegte Vorurteil« ist der Titel einer neuen Rubrik.

Das Feuilleton als Schafott: (Thomas Rietzschel gegen den Rest) Warum soll das Feuilleton revolutionär sein? Lesen Sie doch mal das Feuilleton der 20er Jahre, da wurde nicht nur Hochkultur rezensiert. Wir haben nach wir vor eine politische Aufgabe. Christa Wolf hat einen politischen Roman geschrieben, der nicht ausschließlich im Sinne von »klare Sprache, feine Satzgefüge, zarte Beobachtungen« besprochen werden darf. Wir haben ihren schlechten Roman auch nicht zum Vorwand genommen, mit dem gesamten literarischen Werk einer Person abzurechnen, die lange als Identifikationsfigur gegolten hat, Sie, Herr Wiegenstein, sollten mir nicht vorwerfen, wir hätten die zarte, verletzliche Frau mit unserer Kritik bewußt kränken wollen. Ich verstehe auch nicht, warum Sie, Frau Schmitter, einwenden, man müsse Wolfs Romane nur lesen, um zu erfahren, daß es der Frau darum geht, die Zuckungen, die reflexive Bewegung im Denken nachzuzeichnen. Wir sind keine Ayatollahs. (Allgemeines Wohlgefallen, Publikumsdiskussion ist nicht vorgesehen.) Mirjam Schaub

Am 4. Mai um 23 Uhr bei SFB 3

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