piwik no script img

Dublin gesteht nach 15 Jahren Fehlurteil ein

Dublin (taz) — Mit 15 Jahren Verspätung hat die irische Regierung ein Fehlurteil eingestanden. Am Dienstag abend gab Justizminister Padraig Flynn bekannt, daß Nicky Kelly, der 1977 wegen eines Zugüberfalls zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden war, unschuldig sei. Gleichzeitig weigerte sich Flynn jedoch, eine öffentliche Untersuchung oder ein Strafverfahren gegen die Polizisten einzuleiten, die damals Kellys Geständnis gefälscht und die Unterschrift aus ihm herausgeprügelt hatten.

Am 31. März 1976 wurde ein Postzug bei der irischen Stadt Sallins überfallen. Die Beute betrug über 200.000 Pfund (circa 550.000 Mark). Es war der letzte einer Serie von Zugüberfällen, durch die der Polizeiapparat immer stärker unter Druck geriet. Innerhalb weniger Stunden wurden fünfzig Menschen verhaftet — fast ausschließlich Mitglieder der Irisch-Republikanischen Sozialistischen Partei (IRSP), die damals auch über einen bewaffneten Arm verfügte, nach einer blutigen internen Fehde 1987 jedoch bedeutungslos wurde.

Ein Jahr später wurden drei führende Mitglieder für den Zugüberfall zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Während Osgur Breatnach und Brian McNally ihre Haftstrafen antraten, hatte sich Nicky Kelly vor der Urteilsverkündung in die USA abgesetzt. Nachdem Breatnach und McNally 1980 im Berufungsprozeß freigesprochen wurden, kehrte Kelly nach Irland zurück. Obwohl die Umstände in seinem Fall identisch waren, lehnte das Gericht Kellys Berufung ab. Vier Jahre später wurde er ohne Erklärung freigelassen.

Seitdem kämpfte er für seine Rehabilitierung. „Der Fall hat mich verändert“, sagte Kelly gestern zur taz. „Ich war 16 Jahre lang davon besessen, meine Unschuld zu beweisen. Dadurch bin ich egoistisch geworden.“ Die drei Angeklagten hatten vor Gericht erklärt, daß sie von einer Spezialeinheit der Polizei verprügelt worden waren, um die Unterschriften unter die „Geständnisse“ zu erzwingen. Selbst die medizinischen Sachverständigen der Anklage räumten damals ein, daß die Verletzungen mit den Angaben der Angeklagten übereinstimmten. Dennoch folgte das dreiköpfige Sondergericht ohne Geschworene der Polizeiversion, wonach sich die Gefangenen die Verletzungen in der Untersuchungshaft gegenseitig beigebracht hätten. Erst als im vergangenen Herbst ein schottischer Sprachgutachter zweifelsfrei nachwies, daß die Geständnisse nicht von den Angeklagten stammen können, beschäftigte sich das Justizministerium wieder mit dem Fall.

Für Padraig Flynn ist die Akte nach Kellys Rehabilitierung und dem Versprechen auf Schadenersatz geschlossen — nicht jedoch für Kelly. „Das ist eine typisch irische Lösung“, sagte er gestern. „Jede Regierung mit einem Funken Selbstrespekt würde eine öffentliche Untersuchung einleiten, um die Gründe für das Fehlurteil herauszufinden. Auch amnesty international fordert das weiterhin.“ Ralf Sotscheck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen