: Ein lustloser Ausschuß — moderate Fragen an Gauck
■ Bei der Befragung durch den Untersuchungsausschuß konnte Gauck sein Gutachten leicht verteidigen
Potsdam (taz) — „Was wäre geschehen, wenn das Fahrzeug mit dem Gauck-Gutachten — ohne Begleitfahrzeug — in einen Unfall geraten wäre?“ Mit dieser hypothetischen Hilfskonstruktion versuchte am Dienstag Rosemarie Fuchs, FDP-Mitglied im Stolpe-Untersuchungsausschuß, gegen Joachim Gauck doch noch irgendwie recht zu behalten. Der hatte zuvor sämtliche Vorwürfe der forschen Parlamentarierin, die nach der letzten Ausschußsitzung disziplinarische Konsequenzen gegen den Behördenchef angemahnt hatte, trocken- verbindlich zurückgewiesen. Das Gutachten seiner Behörde zu den Stasi-Kontakten von Ministerpräsident Manfred Stolpe sei von Direktor Hans-Jörg Geiger und zwei Kurieren, nicht wie behauptet in einem Plastikbeutel, sondern in einem „branchenüblichen Aktentransportmittel“ nach Potsdam befördert und dort den beiden zuständigen Herren, Ausschußchef Bisky und Parlamentspräsident Knoblich, ausgehändigt worden.
Zu keinem Zeitpunkt sei aus der Behörde auch nur das geringste Detail des Gutachtens nach außen gedrungen, wie Frau Fuchs mit Verweis auf Presseveröffentlichungen am Tag nach der Übergabe unterstellt hatte. Peinlich genau habe die Behörde die einschlägigen Vorschriften und Sicherheitsbestimmungen eingehalten. Im Hinblick auf die Quelle für die Indiskretionen müsse der Ausschuß wohl in den eigenen Reihen recherchieren. Dem hatte Rosemarie Fuchs nichts Inhaltliches entgegenzusetzen.
Die Facette aus der zweiten öffentlichen Ausschußsitzung hat etwas Symptomatisches. Zu erwarten war, nach den heftigen öffentlichen Kontroversen um die Aussagekraft des Gutachtens eine ebenso kontroverse und kompetente Befragung dessen, der dafür verantwortlich zeichnet. Doch die Sitzung verlief überraschend moderat. Fragen, deren Schärfe oder Präzision daran erinnert hätten, daß hier indirekt über die Zukunft des populären Ministerpräsidenten verhandelt wurde, blieben die Ausnahme. An keiner Stelle kam Gauck ernstlich in Bedrängnis, eine seiner Schlüsselaussagen zur Arbeitsweise des MfS, zu den Bedingungen Inoffizieller Mitarbeit in der Stasi-Hauptabteilung XX/4 oder zur zentralen Bedeutung des IM „Sekretär“ für die geheimdienstliche Kirchenpolitik einschränken zu müssen. So mußte denn auch der brandenburgische SPD-Landesvorsitzende Steffen Reiche zugestehen, daß die sozialdemokratischen Entlastungsfragen für Stolpe „nicht richtig rübergekommen seien“.
Lediglich mit Gauck kam Gauck an diesem Tag kurzzeitig in die Defensive: Ein von der SPD eingebrachtes Zitat aus seinem Buch Die Stasi-Akten, in dem der Behördenchef 1991 die Möglichkeit unwissentlich geführter IMs aus dem Kirchenbereich eingeräumt hatte, schien plötzlich Stolpes zentrales Verteidigungsargument zu bestätigen. Doch Gauck konterte, die damalige Vermutung sei — angesichts der Fülle des seither gesichteten und bewerteten Materials — heute nicht mehr aufrechtzuerhalten. Ansonsten referierte Gauck mangels neuer Fragen Altbekanntes. Im konkreten Fall sprächen nicht nur die von Stolpe gewahrte Konspiration seiner MfS-Kontakte gegen ein unwissentliches „Abschöpfen“; aus verschiedensten Akten sei zudem ersichtlich, daß sich hinter IM „Sekretär“ kein „fiktiver IM“, keine „Schublade“, sondern eine „lebendige Person“ verberge. Daß es sich hierbei um Stolpe handele, eine Behauptung, die im Gutachten nicht explizit enthalten ist, gehe auf eine Information des Stasi-Offiziers Wiegand zurück.
Der zweite Sachverständige, Professor Richard Schroeder, kontrastierte den Gauck-Auftritt durch entlastende Argumente für Manfred Stolpe. So bekräftigte er die Auffassung, in der Stasi-Kirchenabteilung seien sehr wohl IMs auch unwissentlich geführt worden, und verwies auf den Fall des katholischen Pfarrers Jochen Jäger. In dessen IM-Akte fänden sich auch Hinweise auf diesbezügliche MfS- Richtlinien, nach denen jetzt gezielt recherchiert werden müsse.
Auch die Aussagekraft der Akten bewertete Schröder deutlich restriktiver als Gauck, der davor gewarnt hatte, die Aufzeichnungen als „Phantasieprodukte“ einzustufen. Eine unterschriebene Verpflichtungserklärung sei, so Schröder, eine schwer anzuzweifelnde „Urkunde“. Ähnlich seien mit Decknahmen unterschriebene Berichte zu werten. Sehr viel vorsichtiger müsse allerdings mit „Dokumenten zweiter oder dritter Ordnung“, also Treffberichten von Führungsoffizieren sowie Auswertung von IM-Informationen durch Dritte, umgegangen werden.
Auch der als Zeuge geladene frühere Stadtjugendpfarrer stützte Stolpe mit der Aussage, er habe von seinen Kontakten gewußt und sei davon überzeugt, daß er sie ausschließlich im Interesse der Kirche und bei der Lösung humanitärer Problemfälle eingesetzt habe.
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