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Der Abend der langen Messer im Hause der Freidemokraten

Genscher trifft Mitverantwortung an dem Debakel: Er schwieg eisern, obwohl sein Votum für Schwaetzer in der Vorstands- und Fraktionssitzung den Ausschlag hätte geben können  ■ Aus Bonn Andreas Zumach

Die Frau, von der die Schlagzeilen in aller Welt noch am Morgen verkündeten, sie werde Deutschlands erste Außenministerin, steht weinend am Fenster in der hinteren Ecke des langen Sitzungssaales. Völlig alleingelassen von ihren „ParteifreundInnen“. Mitten im Raum drückt der frischgekürte Außenminister beinahe abwehrend die Hände der ersten Gratulanten — darunter der Abgeordnete, der vergeblich hofft, ihn noch am selben Abend als Justizminister zu beerben. Gekonnt erweckt der künftige Außenminister den Eindruck, als seien ihm die Glückwünsche peinlich, so direkt vor den Augen und Ohren der bei der Parteikabale Unterlegenen. Ein politischer Vollprofi, der auch nach seinem Sieg glänzend den Bescheidenen mimt. Der „keine eigenen Ansprüche anmeldete“ und mit seiner Kandidatur schließlich nur dem „intensiven Drängen anderer“ gefolgt ist.

Einer dieser anderen, der eigentliche Hauptgewinner des Abends und künftige Parteivorsitzende, sitzt mit zufriedener Miene in der von der Besiegten entferntesten Ecke des Saales. Zusammen mit dem Mann, dessen überraschender Abgang das ganze Desaster ausgelöst hat. Zog der auch diesmal im Hintergrund die Fäden? Oder wurde er vom Ablauf der Dinge überrascht und ahnt, daß ihn die Hauptverantwortung für das Debakel trifft? Das längst zur Maske erstarrte Pokerface des Obertaktikers der deutschen Politik zeigt keinerlei Regung.

Währenddessen verlassen die Noch-Vorsitzenden von Partei und Fraktion den Saal, um auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz Beschwichtigungsformeln und Durchhalteparolen auszugeben.

Ein Theaterregisseur hätte die Szene um kurz nach 20 Uhr am Dienstag abend in Saal 1903 des Bonner Abgeordnetenhauses „Langer Eugen“ nicht besser arrangieren können. Wenige Minuten zuvor waren die Würfel gefallen in einem Intrigen- und Possenspiel erster Güte. Dreiundsechzig Mitglieder von Bundestagsfraktion und Parteivorstand der FDP votierten nach stundenlangen Beratungen für Justizminister Klaus Kinkel als Nachfolger von Hans-Dietrich Genscher. Und damit gegen die am Vortag vom Parteipräsidium bereits öffentlich zur neuen Außenministerin ausgerufenen Irmgard Schwaetzer. Die bisherige Wohnungsbauministerin erhielt nur dreiundzwanzig Stimmen. Enthaltungen gab es keine.

Vor Beginn der Sitzung am frühen Nachmittag wäre die Vorhersage eines solchen Ergebnisses in Bonn auf lautes Gelächter gestoßen. Niemand rechnete zu diesem Zeitpunkt ernsthaft damit, daß Kinkel überhaupt antreten würde. Hatte nicht das Parteipräsidium am Montag in Anwesenheit des Justizministers und Schwaetzers diese „einvernehmlich“ und „ohne Widerspruch“ zur neuen Außenministerin erkoren? Auch die am Dienstag morgen lautwerdende Kritik einzelner FDP-PolitikerInnen am „handstreichartigen Verfahren“ des Präsidiums schien die Präsidiumsentscheidung nicht in Gefahr zu bringen.

Am Dienstag kurz nach 17.30 Uhr wurde deutlich, daß sich die Einschätzung vom folgenlosen Sturm im Wasserglas als falsch erweisen könnte. Bis dahin hatte es in der um 15 Uhr begonnenen Aussprache zwar deutliche Kritik am Verfahren sowie an den dafür hauptverantwortlichen Vorsitzenden von Partei und Fraktion, Lambsdorff und Solms gegeben. Doch dann ließ der ostdeutsche FDP-Abgeordnete Jürgen Ganschow vor dem Sitzungssaal im „Langen Eugen“ die Journalisten wissen, Kinkel habe ihm gegenüber erklärt, er stände doch für das Amt des Außenministers zur Verfügung. Über den Ablauf der nächsten zwei dramatischen Stunden gibt es im wesentlichen übereinstimmende Darstellungen mehrerer Sitzungsteilnehmer.

In der bis kurz vor 19 Uhr währenden Plenumsdiskussion forderten vor allem die Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen (Landesvorsitzender Möllemann), Baden-Württemberg (Kinkels Landesverband), Schleswig-Holstein und Bremen Kinkel zur Kandidatur gegen Schwaetzer auf. Schon die Stimmen dieser Abgeordneten hätten zur Mehrheit ausgereicht. Doch noch spielte der Justizminister den Zauderer. Erst nachdem ihm Lambsdorff und Solms in einer Sitzungspause die Unterstützung von Partei und Fraktion zugesichert hatte, stellte sich Kinkel um 19.30 Uhr der Abstimmung.

Bis dahin hatten zahlreiche der 88 Sitzungsteilnehmer und -teilnehmerinnen in der Debatte gesprochen. Nur einer schwieg eisern, obwohl sein Votum für die angeblich von ihm favorisierte Irmgard Schwaetzer den Ausschlag hätte bedeuten können — trotz der angestauten Kritik über das Verhalten des Präsidiums. Doch erst nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses ergriff Hans- Dietrich Genscher das Wort und empfahl der Unterlegenen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Auch er sei nach dem Machtwechsel von 1982 in der FDP unten durch gewesen und habe sich schließlich wieder aufgerappelt. Auch Parteichef Lambsdorff riet der soeben Gedemütigten, „jetzt keine voreiligen Entscheidungen zu treffen“, und „entsprechend der Preußischen Beschwerdeordnung“ erst einmal 24 Stunden verstreichen zu lassen.

Neben Genscher gehen vor allem Lambsdorff und Solms stark beschädigt aus dem ganzen Vorgang hervor. Doch von Konsequenzen, gar einem Rücktritt und einem vorgezogenen Parteitag zur Neuwahl des Parteivorsitzenden wollten beide nach der Fraktionssitzung am Mittwoch morgen nichts wissen. Auch Möllemann, der lachende Dritte, kann warten. Er wähnt sich des Parteivorsitzes sicherer als je zuvor.

Auch die designierte Außenministerin für 36 Stunden ließ sich im Laufe der Nacht tatsächlich von ihrer ursprünglichen Regung, „alles hinzuschmeißen“, abbringen. Zwar kritisierte sie, die Abstimmung vom Dienstagabend sei gegen das Präsidium und nicht gegen sie gerichtet. Außerdem häten sich Möllemann und Kinkel nicht an die von beiden mitformulierte Präsidiumsempfehlung gehalten. Dennoch wolle sie im Amt bleiben und weiter für die FDP Politik machen. Mit der Behauptung, ihr Ärger sei „ganz schnell vorbei gewesen“, bewies sie, daß sie die Kunst der Verdrängung mindestens so gut beherrscht, wie die Parteimännerriege, die ihr so übel mitgespielt hatte.

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