Die Vergangenheit des 'Spiegel‘

■ Angesichts der strammen Linie des 'Spiegel‘ in der Stasi-Debatte macht sich Journalist Otto Köhler an die „unbewältigte Vergangenheit“ des Magazins

Die „unbewältigte Vergangenheit“ des Nachrichtenmagazins 'Der Spiegel‘ und seines Herausgebers Rudolf Augstein greift der Journalist Otto Köhler in der Mai-Ausgabe der linken Zeitschrift 'Konkret‘ auf. Köhler berichtet davon, daß zwei Spiegel-Ressortleiter, die 1952 eingesetzt wurden, während der Nazizeit hohe Beamte bei Heydrichs Sicherheitsdienst (SD) der SS gewesen waren. Namentlich sind dies laut Köhler der ehemalige Ressortleiter Ausland Georg Wolff und der ehemalige Ressortleiter Internationales Dr. Horst Mahnke. Mahnke blieb bis 1959 beim 'Spiegel‘, ging dann zu Springer und wurde später Geschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Zeitungsverleger. Wolff war bis 1979 beim 'Spiegel‘.

Köhler wirft dem 'Spiegel‘ vor, in seiner Frühzeit antisemitische „Volksverhetzung“ betrieben zu haben. So etwa 1950 in einer Aufklärungsserie über den Kaffeeschmuggel, die die besagten Wolff und Mahnke geliefert hatten. Allerdings von außen — damals waren die beiden ehemaligen SD-Männer noch für das Hamburger Kaffee-Einfuhrkontor im Freihafen tätig. Dieses Kontor sei naturgemäß stark an einer Unterbindung des Kaffeeschmuggels interessiert gewesen. In der Serie wurden, so Köhler, die vom Schmuggel lebenden, von den Nazis verschleppten „Displaced Persons“ (DPs) „erkennbar als Juden“ und als „DP-Terroristen“ beschrieben. Vielfach seien den in der Serie vorkommenden jüdischen Namen im Text sogar Adressen und Telefonnummern beigegeben gewesen. „'Spiegel‘-Service fürs Pogrom“ wie Köhler kommentierend meint. Deutlich ist auch die polemische Einleitung zu Köhlers Artikel: „Der 'Spiegel‘, von seinem Verleger in jüngster Zeit wieder auf alldeutsch-völkischen Kurs gebracht, war schon zu seiner Gründungszeit ein nationalistisch-antisemitisches Kampfblatt [...].“

Gegenüber der taz wollten weder 'Spiegel‘-Herausgeber Augstein noch die Chefredaktion einen Kommentar zu dem Köhler-Artikel und seinen Inhalten abgeben. Augsteins Referent Eisermann sagte lediglich, daß Wolff an der Kaffeschmuggel- Geschichte „nicht mitgeschrieben hat“. Außerdem sei „der 'Spiegel‘ von heute nicht der 'Spiegel‘ von damals“.

Laut Köhler hatte der spätere 'Spiegel‘-Ressortleiter Georg Wolff während des Krieges in dem Stab des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD in Norwegen gedient. Der Befehlshaber dieses Stabes war zeitweise der Chef der Einsatzgruppe A im Osten, Dr. Franz Stahlecker, der sich gerühmt habe, „128.432 Juden umgebracht zu haben“. Sein Kollege Horst Mahnke sei zuletzt als SS-Hauptsturmführer und Adjutant des Mordkommandoleiters Dr. Franz Alfred Six gewesen. Six wiederum sei 1941 Leiter des Vorauskommandos Moskau der Einsatzgruppe B gewesen und sei später im Nürnberger Einsatzgruppenprozeß zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Bereits 1952 sei Six wieder freigekommen und habe dann für die „Organisation Gehlen“, den heutigen BND, gearbeitet.

Hintergrund von Köhlers Attacke gegen den 'Spiegel‘ ist die stramme „Enthüllungs“-Linie, die das Magazin in der Stasi-Debatte und im Fall Manfred Stolpe fährt. Und sicherlich auch die Geschichte, die den Journalisten Köhler mit dem 'Spiegel‘ verbindet: Köhler war von 1966 bis 1972 Medienkolumnist des 'Spiegel‘ gewesen — bis Augstein ihn entließ, weil zwischen ihm und Köhler „zu keiner Zeit eine Übereinstimmung über Inhalt und Form der Kolumne bestanden habe“, so Köhler heute. Nach heftigen Konflikten mit Augstein um Mitbestimmung der Mitarbeiter in Redaktion und Verlag hatten 1971/72 auch Hermann L. Gremliza, Dieter Brumm, Bodo Zeuner und Alexander von Hoffmann den 'Spiegel‘ verlassen müssen. Danach hatte Augstein die Beteiligung der 'Spiegel‘-Mitarbeiter am 'Spiegel‘ und seinen Gewinnen eingeführt.

Ebenfalls erwähnt wird in dem 'Konkret‘-Artikel ein Bern(har)d Wehner, der für den 'Spiegel‘ 1950 eine Serie über den SD-Mann, Einsatzgruppenchef und Leiter des Reichskriminalpolizeiamtes, Arthur Nebe, geschrieben habe. Das Reichskriminalpolizeiamt war Heydrichs Reichssicherheitshauptamt unterstellt. Der Titel der 'Spiegel'- Serie lautete: „Das Spiel ist aus — Arthur Nebe. Glanz und Elend der deutschen Kriminalpolizei.“ Nebe war aber auch von Juni bis November 1941 Chef der Einsatzgruppe B, einer Todesschwadron, gewesen. In der besagten 'Spiegel‘-Serie über die „erstklassigen Kriminalisten“ im Reichssicherheitshauptamt wurden die Exekutionen und Mordaktionen von Nebes Kommando, die mehr als 45.000 Menschen das Leben kostete, detailliert beschrieben — bis zum „erfolgreichen“ Ende. Der Name des Serienautors Wehner sei, so Köhler, damals unbekannt geblieben. Kein Wunder: War Bern(har)d Wehner doch ein Untergebener Nebes als SS-Hauptsturmführer im Reichssicherheitshauptamt gewesen. Wehner war also Serienschreiber und Serienheld im 'Spiegel‘ zugleich, denn nicht nur Nebe kam in der Serie als edler Exekutor gut weg, auch Wehner durfte sich vielfach selbst rühmen.

Köhlers Fazit in Sachen SD-Leute beim 'Spiegel‘: „Mahnke und Wolff, vom SD über den Freihafen-Kaffeehandel direkt in die Chefsessel zweier 'Spiegel‘-Ressorts, das sind zwei ungewöhnliche Karrieren, die nach Aufklärung schreien müßten. Schon gar bei einem Organ, das seit 45 Jahren — wir lasen es im 'Spiegel‘ — aufklärerisch zu wirken sich bemüht. Doch damals schrie nichts nach Aufklärung, denn der SD hieß — Rudolf Augstein wird das begründen können — nun einmal nicht Stasi.“ kotte