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Die Ohnmacht der Sozialarbeiter

Auf dem 9. Deutschen Jugendhilfetag in Hamburg diskutierten in dieser Woche 30.000 Pädagogen über Sozialarbeit mit Rechtsradikalen/ Ostdeutsche Jugendhelfer gehen stärker auf Jugendliche zu  ■ Von L. Schönemann/S. Nickel

Hamburg (taz) — Kann man rechtsradikale Kids mit Jugendsozialarbeit umlenken? Zu diesem Punkt gab es auf dem 9. Jugendhilfetag in Hamburg unterschiedliche Einschätzungen aus den neuen und den angestammten Winkeln der Republik. Rund 30.000 Besucher — mehrheitlich Pädagogen — suchten in 72 Vorträgen und Workshops nach dem goldenen Weg in der Jugendhilfe. Angereiste Jugendsozialarbeiter aus dem Osten hatten ihren Kollegen aus dem Westen dabei eins voraus: Den Enthusiasmus.

ein Schwerpunktthema in Hamburg war der Auf- beziehungsweise Umbau der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern. Das Bundesjugendministerium hat für die Arbeit der Wohlfahrtsverbände im Osten 50 Millionen Mark bereitgestellt. Zahlreiche Jugendämter aus Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben bereits signalisiert, das die Mittel aus Bonn für die nichtstaatliche Jugendarbeit allenfalls als Starthilfe verstanden werden könne. Jugendamtsmitarbeiter wie Harald Walter aus Neubrandenburg schilderten auf dem Jugendhilfetag die Ungereimtheiten, die sich beim Aufbau der Jugendarbeit im Osten nach den Gesetzen des Westens ergeben. „Das neue Jugendhilferecht wurde nicht für uns gemacht“, so Walter. Die dort festgeschriebene vorrangige Schaffung von Kindergartenplätzen mache im Osten keinen Sinn. „Bei uns gibt es eine 100prozentige Versorgung mit Kindergartenplätzen, dafür liegen anderen Bereiche völlig brach.“ Gewachsene Jugendeinrichtungen gehen in der Ex-DDR hingegen ein wie Primeln, „Von einst 100 Jugendclubs halten sich jetzt noch vier über Wasser“, so der Leipziger Pädagoge Wilfried Schubarth. Schubarth hat sich in den letzten Monaten an einem der runden Tische gegen Gewalt dem Zorn der Jugendlichen gestellt, die keinen Treffpunkt haben. „Da muß man doch radikal werden und auf der Straße landen.“ Mit Jugendzentren nach westlichem Vorbild, die mit Schlagzeugraum und Tischtennisplatten ausgestattet sind, könne den wachsenden rechtsextremistischen Tendenzen aber nicht angemessen entgegengetreten werden. Und auch das vom Bundesjugendministerium mit 20 Millionen Mark ausgestattete Präventionsprogramm gegen Gewalt könne wenig ausrichten. Der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer bezeichnete es gar als „einen Schuß in den Ofen“.

Denn Fremdenfeindlichkeit und Aggression sind die brutalen Konsequenzen, die nicht wenige Jugendliche aus der Betrachtung ihrer Umwelt ziehen. „Wenn einer aus der eigenen verfahrenen Situation die Bilanz zieht, daß nur noch die Gewißheit übrigbleibt, ein Deutscher zu sein, dann bekommt Gewalt eine Richtung“, so Heitmeyer. Daher müßten anstelle des „akademischen Getöses“ über die neonazistische Orientierung der Skins deren Ohnmachtsgefühle thematisiert werden. Handlungsunsicherheit und Desintegration riefen soziale Vorurteile hervor, die nur aus dem „normalen und schmuddeligen Alltag der Jugendlichen“ heraus erklärbar seien.

Wie aber dem Rechtsradikalismus wirksam entgegengetreten werden kann, wußten die Pädagogen und Sozialarbeiter auf dem Jugendhilfetag kaum zu sagen. Die großen Verbände beschränken sich auf professionell gestaltete Hochglanzaufklärungsbroschüren. Lichtblicke wie beispielsweise der Cottbuser Jugendhilfeverein sind selten. Dort treffen sich linke Autonome und rechtsextremistische Jugendliche abends zum Bier.

Auffallend hob sich der Enthusiasmus einiger ostdeutscher Jugendhelfer aus den sogenannten Brennpunkten von ihren Westkollegen ab; sie sind viel eher bereit, auf die rechtsradikalen Jugendlichen zuzugehen. „Unsere Chance ist, sie aus der Einsamkeit herauszureißen, die Neonazis und Fußballfans erwischt, wenn sie vom Sieg-Heil-Brüllen aus Dresden oder vom Spiel nach Hause kommen“, empfahl ein Jugendhelfer aus Hoyerswerda. Der gelernte Theologe, dem „die Supernacken ihre Angstträume erzählen“, bekommt aber auch schon mal „eins aufs Maul“, wenn die Glatzen nicht zum Reden aufgelegt sind.

Prügelverbot versus Erziehungsfreiheit

Die Spirale von Gewalt und Agression beginnt indes nicht erst bei den Jugendlichen. Sie windet sich vielmehr wie ein roter Faden durch Generationen von Familien, die vom Staat auch noch legitimiert werden, ihrem Nachwuchs Prügel zu verpassen. Der umstrittene Parapraph 1631 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), der Eltern ein Züchtigungsrecht zuspricht, gehört endgültig gestrichen, so eine Expertenrunde während des Jugendhilfetages. „Es muß endlich ein deutliches Unwerturteil gegenüber der Gewalt in der Familie ausgeprochen werden“, forderte Hamburgs Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD).

Die Debatte um den Paragraphen 1631 währt nun schon über ein Jahrzehnt. Immer wieder scheiterte die Einführung des Prügelverbots an dem Argument, der Staat dürfe Mütter und Väter nicht bevormunden. 1979 wurde der BGB-Passus zumindest dahingehend geändert, daß nun „entwürdigende Erziehungsmethoden“ untersagt wurden — ein ebenso schwammiges wie wirkungloses Unterfangen. Noch immer diene das Relikt aus dem vorigen Jahrhundert bei Gericht als Rechtfertigung für Gewalt gegenüber Kindern, kritisierte die SPD-Politikerin Peschel- Gutzeit. Freisprüche mit Verweis auf den umstrittenen Gesetzestext habe es gerade in jüngster Zeit häufig genug gegeben. Die Einführung des Prügelverbots dürfe aber keineswegs zur Kriminalisierung der schlagenden Eltern führen, warnte die grüne niedersächsische Frauenministerin Waltraud Schoppe. Vielmehr müssen nicht nur den Opfern von Gewalt, sondern auch den Tätern Hilfsangebote in ausreichender Zahl gemacht werden.

Justizsenatorin Peschel-Gutzeit, die zur Zeit als Mitglied der Verfassungskommission die Ächtung von Gewalt gegenüber Kindern vergeblich als Grundrecht zu installieren versucht, will den Konflikt auf jeden Fall auf der nächsten Justizministerkonferenz im Mai thematisieren. In Betracht kommt auch eine Hamburger Gesetzesinitiative.

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