Der Müll, die Stadt und der Streik

Frankfurts Müllmänner streiken seit Montag/ Krisenfeste Hausfrauen sparen Platz in den Mülltonnen/ Bisher mehr Verständnis als Unmut über die Streikenden/ Fehlende Straßenreinigung weckt allenfalls Urlaubserinnerungen  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Müllnotstand in Frankfurt? Ach was! Die seit Montag streikenden Müllwerker kennen die Bornheimer Hausfrauen nicht, krisenerprobt, praktisch und einfallsreich. In den Wohnstraßen des Stadtteils ist der Müll bis gestern jedenfalls im Zaum gehalten worden. Die Tonnen in den ordentlichen Vorgärten und Hinterhöfen quellen nicht über, heben allenfalls gerade ein wenig den Deckel an. Meistens jedenfalls. Die private Müllentsorgung der Hausfrauen ist auf Sparen und Zerkleinern ausgerichtet. Der erstaunte Augenschein zeigt: in mancher Tonne ist sogar noch Platz, von einigen individuellen Ausreißern abgesehen. Ob da ein direkter Zusammenhang zu der Tatsache besteht, daß gerade hier sehr viele Arbeiter und Angestellte des Stadtreinigungsamtes wohnen und Beziehungen in Frankfurt schon immer groß geschrieben wurden? Der für die Frankfurter Müllmänner zuständige Geschäftsführer der Gewerkschaft ÖTV, Werner Röhre, weist das weit von sich. Die Müllverbrennungsanlagen sind geschlossen, die Deponien von Streikposten gut bewacht. Er weiß, daß der Verkauf der grauen, städtischen Müllsäcke kräftig angestiegen ist. Da kommt er, bei allem Wohlwollen dafür, „daß es denen da oben in Bonn mal gezeigt wird“, bei den BornheimerInnen schlecht an.

Überhaupt sehen die FrankfurterInnen den Streik bisher eher gelassen bis heiter, improvisieren und verhelfen, so Werner Röhre, der Töpferschen Verpackungsordnung zum Durchbruch. Die Umverpackungen bleiben im Laden. Das reduziert zumindest den Hausmüll. Klügere Geschäftsleute haben sich schon letzte Woche einen Mietcontainer in den Hof stellen lassen. Im Notdienst der Stadt werden ausschließlich die sogenannten „Hygiene-Abfälle“ von Ärzten und Krankenhäusern abgefahren. Der Besitzer eines kleinen Cafes ist etwas verschämt. Er möchte kein Streikbrecher sein, aber er kenne da wen, „der arbeitet im Krankenhaus... Na ja, hmm.“

Der Portier des Nobelhotels „Arabella“ in der Innenstadt gibt bereitwillig Auskunft. Papier wird von einer privaten Firma abgeholt, der sonstige Müll einmal pro Woche im Notdienst entsorgt. Werner Röhre wird da hellhörig. Das könne doch nicht sein. Gleich Montag will er sich erkundigen. Die vornehmen Gäste des Hauses betrachten irritiert die Straßen. Da ist der Streik sinnlich wahrnehmbar. Zeitungen flattern im Wind über den Asphalt. Kaugummi, Getränkedosen, Eishüllen, Plastiktüten auf Schritt und Tritt. Um die öffentlichen Papierkörbe wachsen sie zu dicken Nestern nach oben, wehen in die U-Bahn-Schächte. Das weckt unterschiedliche Assoziationen und Gefühle: „Die Straßenreinigung brauchen wir. Das sieht man jetzt erst!“ Oder: „Das ist ja wie im Urlaub in Spanien!“ Die Frankfurter reisen eben gern. „Wie in New York“, sagt einer begeistert. Der Streik regt zu Kontakt und Gesprächen an. Eine pompöse Dame, die auf die „hirnlosen Proleten“ schimpft, wird abgekanzelt.

In der S-Bahn und am Hauptbahnhof ist es, über den Rahmen des üblichen hinaus, sauber. Die private Reinigungsfirma, die hier entsorgt, scheint sich besonders anzustrengen. Wohin sie allerdings den Müll bei geschlossenen Deponien entsorgt, war gestern nicht zu erfahren. Im Betriebsbüro der Bundesbahn heißt es lakonisch: „Wissen wir auch nicht. Das ist deren Problem.“ In den Läden im Hauptbahnhof ist Notstand. In den Gängen der Versorgungstrakte reihen sich Müllsäcke. Ein Filialleiter hat Ratten und Mäuse gesichtet. Der Verpackungsmüll ist kaum noch zu bewältigen. Manche Ladeninhaber verraten hinter der Hand, daß sie unter derselben mit den Mitarbeitern der Reinigungsfirma handelseinig geworden sind. Die Zigarettenverkäuferin kichert vergnügt und deutet auf die Papierkörbe der Bundesbahn: „Und wenn das so weiter geht, bringe ich meinen Müll von zu Hause morgen auch noch mit hierher.“

Überhaupt sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Bahn und Frankfurter Stadtwerke wären gut beraten, wenn sie noch vor dem Winter einen Blick in ihre Streugutbehälter werfen würden.