piwik no script img

Sarajevo bietet Bild der Verwüstung

■ Waffenstillstand nach bisher schwersten Kämpfen in Bosnien-Herzegowina/ Bundesarmee stellt Bedingungen für Freilassung von Präsident Izetbegovic/ Keine neuen EG-Sanktionen gegen Serbien

Sarajevo/Belgrad/Guimarares (ap/afp) — Nach den bisher schwersten Gefechten seit Ausbruch der Kämpfe in Bosnien-Herzegowina vor über zwei Monaten ist in Sarajevo am Sonntag wieder Ruhe eingekehrt. Am späten Samstagabend hatten Vertreter der Belgrader Bundesarmee und der serbischen Milizen einerseits sowie der kroatischen und moslemischen Verbände andererseits sich nach 16stündigen Gefechten auf einen Waffenstillstand geeinigt.

Die Innenstadt Sarajevos bot am Sonntag ein Bild der Verwüstung. In den mit Granattrichtern übersäten Straßen lagen ausgebrannte Autowracks, umgestürzte Abfalltonnen und die Scherben von zerborstenen Scheiben herum. Das große Gebäude der Hauptpost am Ufer der Bosna stand in Flammen.

Im Hauptquartier der UNO-Friedenstruppe traf der Abgesandte des EG-Vermittlers Lord Carrington, Colm Doyle, am Sonntag mit Ejub Ganic, einem Mitglied der Führung Bosnien-Herzegowinas, und einem Heeresgeneral zusammen, um über die Freilassung des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovics zu verhandeln. Izetbegovic war nach einem Bericht des bosnischen Fernsehens am Samstag auf dem Flughafen von Sarajevo von Soldaten abgeführt und in eine nahegelegene Kaserne gebracht worden. Dem Fernsehen seiner Republik sagte Izetbegovic: „Ich kann nur soviel sagen, daß ich als Gefangener gehalten werde.“ Ein General der Bundesarmee, Milan Vojislav, bestätigte den Aufenthalt des Präsidenten in der Kaserne Lukavica und erklärte, Izetbegovic sei „Gast“ der Bundesarmee. Es sei zu gefährlich für ihn, zu seinem Amtssitz in der Innenstadt von Sarajevo zu fahren. Radio Sarajevo übertrug am Abend einen Appell Izetbegovics an die Angehörigen der bosnischen Territorialverteidigung, die Angriffe auf Einrichtungen der Bundesarmee einzustellen.

Die Bundesarmee, die die Freilassung Izetbegovics zunächst noch für gestern angekündigt hatte, stellte im Laufe des Tages indirekt Bedingungen. Izetbegovic sei „nahegelegt worden“, den moslemischen Verbänden eine sofortige Feuereinstellung zu befehlen, heißt es in einer am Sonntag in Belgrad veröffentlichten Erklärung des jugoslawischen Verteidigungsministeriums. Diese Feuerpause wolle die Armee nutzen, um ihre Toten und Verwundeten in Sarajevo zu bergen.

Die EG will ihre Vermittler- und Beobachtertätigkeit in den Kriegsgebieten des früheren Jugoslawien für einige Tage aussetzen. Wie ein Sprecher der EG-Mission erklärte, sei die Entscheidung sei ein Zeichen der Trauer um den belgischen EG- Beobachter, der am Samstag in der Nähe von Mostar getötet worden war.

Ungeachtet der heftigen Kämpfe haben die EG-Außenminister am Wochenende keine neuen Sanktionen beschlossen, um Serbien unter Druck zu setzen. Auch eine Entscheidung, die Unabhängigkeit Mazedoniens anzuerkennen, trafen sie nicht. Die Außenminister, die in dem portugiesischen Guimarares zusammengekommen waren, forderten lediglich die Führung in Belgrad auf, die Einheiten der Bundesarmee aus Bosnien-Herzegowina abzuziehen. Sie sprachen sich auch für eine stärkere Rolle der UNO in der Krisenregion aus.

Serbien wurde indes von der EG als Hauptverantwortlicher für die anhaltenden Kämpfe gebrandmarkt. Belgrad müsse für den Abzug der Bundesarmee sorgen, deren rechtlicher Status in Bosnien sich durch die Ausrufung eines neuen Jugoslawien durch Serbien und Montenegro geändert habe, faßte der portugiesische Außenminister und amtierende EG- Ratspräsident, Joao de Deus Pinheiro, die Position der EG zusammen. Für diesen Fall stellte die EG der Führung in Belgrad die Anerkennung des neuen Jugoslawien in Aussicht, vorrausgesetzt, auch der Schutz der Minderheiten und der Verzicht auf gewaltsame Grenzänderungen sind gewährleistet.

Keine Aussicht auf Erfolg hatte in Guimaraes der Wunsch Serbiens, die neue Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des alten Jugoslawien anzuerkennen und ihr Jugoslawiens Sitz in den internationalen Gremien zu überlassen. Die Rechtsnachfolge müsse von den früheren Teilrepubliken untereinander gelöst werden, sagten Diplomaten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen