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Haußmannskost

Shakespeares „Sommernachtstraum“ in Weimar  ■ Von Arnd Wesemann

In der Woche vor der Premiere zieht Leander Haußmann arglos von Weimar gen Berlin. Er besucht seine zukünftige Wirkungsstätte, das Schiller-Theater. Derweil findet bei einer Voraufführung vor der renommierten Weimarer Shakespeare-Gesellschaft sein Sommernachtstraum Bestand, was den hagerstolzen Haußmann einen Luftsprung wagen läßt. Ihm ist's gelungen, binnen nur sieben mal sieben Tagen Probenzeit neue Shakespeare-Deutungen hinzulegen... und nicht einen Gelehrten- Protest einzufangen.

Wer sind die schlotternden Elfen in Shakespeares Zauberwald? Romantische Putten, die Tau auf die Wiesen streuen? Unglückliche Frauen sind's, die einst Hamlet, Romeo, Othello und Lysander liebten. Zombies, Opfer einer Liebe, die sich an Verona, Venedig und Helsingör erinnern. Gepeinigte Seelen, Wiedergängerinnen, die Liebende in den Wald locken, um Rache für vergangene Liebesschmach zu üben. Munter läßt Haußmann sie rächen. Bei Shakespeare war davon nie die Rede.

Er entwarf einen Liebeswahn, der die Sommergäste überfällt, ein Possenspiel, Phantasie. Bei Haußmann wird mörderischer Ernst daraus. Die Recken Lysander und Demetrius sind verliebt in Hermia. Helena zieht den kürzeren. Das Liebesgezänk — da in Athen unstatthaft — zieht ein in den Zauberwald. Ein Liebeswurz aus Blütenstaub wird auf Geheiß des Elfenkönigs Oberon verabreicht. Bei Shakespeare stiftet er komödiantische Verwirrung, bei Haußmann Totschlag.

Durch's Liebeswurz wird man vor Begehren irr. Der erstbeste Körper, der vor Augen kommt, muß besprungen werden. Titania reitet Zettel, der einen Eselskopf angezaubert bekam. Puck ist Herr der Zauberei und Gegengifte. Bei Shakespeare erlöst er alle vom falschen Liebeswahn. Bei Haußmann kommt der rettende Puck zu spät.

Daß alle sich vor Wollust winden; anschließend aber tun, als wäre nichts gewesen — als bürgerliche Heuchelei hat das noch jeder inszeniert. Haußmann sieht echte Raserei, echte Eifersucht und schmerzlich mißgönnte Liebe. Gefühle sind auch in Arkadien groß.

Shakespeare wirft die verlassene Helena den Recken Lysander und Demetrius hin. Betört vom Liebeswurz stürzen sie sich auf sie. Haußmann läßt Helena auf einen Baum flüchten. Lysander und Demetrius, den Degen griffbereit, legen einen Striptease hin. Hermia, die jäh Sitzengelassene, strippt ebenfalls. Alle wollen geliebt werden. Helena wird vom Boden geholt und ausgezogen. Die vier Nackten können kaum innehalten. Eine Orgie droht... Wo bleibt Puck, wo Shakespeares Rettung mit dem Gegengift? Puck ist müde. Puck schläft.

Haußmann ist wach. Die nackte Helena fürchtet Lug und Trug und tötet ihre nackte Nebenbuhlerin Hermia. Lysander und Demetrius haben sich von Anbeginn nicht leiden können. Im Liebesrausch bricht die Wahrheit durch. Sie fechten nackt und sterben nackt. Blut fließt in Strömen. Die Wunden blecken. Die Bühne dreht sich. Selbstmörder hängen im Wipfel, ein Panorama des Todes. In Eros tanzt Thanatos. Das Stück wär' zu Ende; und mit Leichen zugepflastert, die Shakespeare nie hinzugeschrieben hat. Shakespeare verfaßte einen fünften Akt, das Happy-End, die glückliche Hochzeit. Auch Haußmanns Happy-End bleibt nicht aus: eine Hochzeit der Zombies — wie von Pina Bausch inszeniert...

Der Sommernachtstraum besteht, wie oft bei Shakespeare, aus zwei Geschichten. Die eine handelt vom Liebeswahn, die andere von der Regiearbeit eines gewissen Squenz, der mit seinen Gesellen ein Stück inszenieren will. Diese Truppe von Schauspielern, die Leander Haußmann hier zusammengebracht hat, könnte aus Aki Kaurismäkis Film Leningrad Cowboys stammen. Haußmanns Typen aber sind noch um Längen besser, noch lakonischer, noch eigensinniger, umwerfender.

Während auf der von Franz Havemann gebauten schmalen Vorderbühne Elfen von rechts nach links spazieren, folgt ihnen stumm diese Schar Handwerker. Ihr zotteliger Gang hinter den Elfen — man ahnt, sie wissen von nichts — sind nicht von dieser Welt. Sind Comic-Figuren. Squenz, Zettel, Schnauz, Schlucker, Flaut und Schnock planen ihre Probenarbeit. Einer von ihnen pinkelt gegen den rückwärtigen Vorhang. Oberon heult: „Der pinkelt in meinen Wald.“ Welchen Wald? Der Vorhang hebt sich. Eben wieherte das Publikum, jetzt applaudier es: einem Wald, einem romantischen Dschungel im Herbst.

Das ist Haußmann. Einen kahlköpfigen Dicken läßt er mit Fispelstimme „Mutti“ rufen — das Gelächter läßt die Wände wackeln. Haußmann ordnet sofort, schickt seine Truppe von dannen, macht mit der Liebesstory weiter. Er läßt im kahlen Bühnenbild spielen und im nächsten Moment romantische Drehbühnenwälder hervorzaubern. Der Blick springt in ein Diorama von Waldlandschaft — mit Gewässer, Ameisenhaufen, ferngesteuerten Lurchen und blinkenden Schlangen. Die Drehbühne macht einen Schwenk wie eine Kamera.

Zu Beginn lag auf der kahlen Bühne ein ominöser Pappkarton, der sein Geheimnis nicht lüften wird. Klappernd und frierend kriecht Horst Olof daraus, eine stumme Rolle, ein Woody Allen, der wie in dessen Film Purple Rose of Cairo durch die Leinwand zum Publikum herabsteigt. Woody Allen verfaßte eine Bearbeitung des Sommernachtstraums: A Midsummernight Sex Comedy: von solchen Anspielungen wimmelt es. Wahllos sind auch die musikalischen Zitate — daß es den Gelehrten eine Lehre sein möchte: Shakespeare ist die halbe englische Hitparade. Ist ein Tollhaus.

Haußmann kommt vom Berlin- Besuch zurück. Lehnt sich tief in den Sessel, ist bübisch, läßt sich nach der Premiere in einer Talkrunde ausfragen, lacht, als statt dessen ein Freund Wysozki-Lieder singt. Warum er auf der Bühne so freudig in die Luft gesprungen sei? Weil am Abend zuvor sein Puck aus einem verunglückten Auto geschweißt werden mußte — und heute wieder wie ein Irrer gespielt hat. Seine Freunde loben zurück: Daß der ehemalige Schauspieler Haußmann die Phantasie von zwölf Schauspielern besitze. In Weimar hatte er die Komödiantenkraft und ihren Ensemblewitz, Schauspieler, die Atem bis zum Ende und Schlau-Spiel von Anbeginn besitzen. Während bei Proben in München Schauspieler immerzu „Warum“ fragten, erzählt Haußmann, sagen sie in Weimar: „Warum nicht?“

William Shakespeare: Ein Sommernachtstraum. Regie: Leander Haußmann, Bühne: Franz Havemann, mit Henning Orphal, Peter Rauch, Detlef Heintze, Annette Büschelberger, Katrin Schwingel, Martina Schumann u.a. Wieder am 30. Mai im Nationaltheater Weimar.

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