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Verhütung ist kein Umweltschutz

■ betr.: "Politisch korrekte Ökologen", taz vom 22.4.92

betr.: „,Politisch korrekte‘ Ökologen“, taz vom 22.4.92

Die aus der 'Washington Post übernommene Polemik von Jessica Mathews, Vizepräsidentin des World Resources Instituts, ist nach einem simplen Muster gestrickt: Verbreite Unterstellungen und Diffamierungen, mische Fakten mit Lügen und aus dem Zusammenhang gerissenen Halb-Informationen und baue damit eine Pappfigur auf, die du dann mit gefälliger Zustimmung deiner LeserInnenschaft abschießen kannst. Lasse gleichzeitig deine eigene Position als die einzig „wahre“, vernünftige und konsensfähige erscheinen.

Die solchermaßen aufgebaute Zielscheibe sind Feministinnen, die sich seit Jahren kritisch mit Bevölkerungspolitik und der Praxis sogenannter Familienplanungsprogramme auseinandersetzen. Jessica Mathews unterstellt ihnen, daß sie aus purer ideologischer Verbohrtheit die Augen verschließen vor der —von ihr selbst definierten — „Wahrheit“, Armut und die „unkontrollierte Fruchtbarkeit“ von Frauen sei die „zentrale“ Ursache von Umweltzerstörung. [...]

Die taz und die Dame vom WRI hätten sich besser informieren sollen: Die Behauptung, Feministinnen hätten im Schulterschluß mit dem Vatikan ein Statement zur Bevölkerungsfrage verhindert, ist schlichtweg falsch. Frauen haben in öffentlichen Statements gegen den Mißbrauch von Frauenanliegen als Pokerkarte in den UNCED-Verhandlungen protestiert. Sie haben unter anderem durchgesetzt, daß folgende Passage in die UNCED-Empfehlungen aufgenommen wurde: Regierungen sollten „präventive und kurative Gesundheitseinrichtungen aufbauen und stärken, welche frauenzentrierte, von Frauen betriebene, gesundheitsverträgliche und wirksame Mutter-Kind-Versorgung und bezahlbare, zugängliche und für eine verantwortliche Familienplanung geeignete Dienste einschließen, die mit der Freiheit, Würde und persönlichen Werten vereinbar sind.

Es gab zwei internationale Vorbereitungstreffen zur UNCED in Miami, an denen 2.000 Frauen aus 90 Ländern teilnahmen — wovon in der taz leider nichts zu lesen war. Dort haben Feministinnen eine klarere Sprache, die das Recht auf Abtreibung festhält und die Freiwilligkeit von Verhütung betont, sowie eine dezidierte politische Absage an staatliche und multilaterale Bevölkerungskontrollprogramme gefordert. Dieses klarere Statement für die Agenda 21 wurde nun vom Vatikan und verschiedenen Regierungsvertretern verhindert. Feministinnen werden sich in Rio weiter dafür einsetzen. Nicht „Armut“, sondern „Reichtum“ ist die Grundlage von Umweltzerstörung — sprich das expansionistische industrielle Wirtschafts- und Entwicklungsmodell des Nordens und seine systematische Verarmungspolitik gegenüber dem Süden via Verschuldung, Strukturanpassung, Exportzwang und Handelspolitik. Wer über Umweltzerstörung spricht, darf über Verteilungs- und Machtfragen nicht schweigen. Statt der Fixierung auf abstrakte Zahlen und des populationsbiologistischen Fabulierens über die „globale Tragfähigkeit“ sollten wir endlich anfangen, über soziale Verhältnisse zu sprechen. Etwa darüber, was der Hunger in Afrika mit der Verdrängung von Frauen aus der Landwirtschaft und vom Boden für den Nahrungsmittelanbau zu tun hat, oder wie kommerzielle Abholzung von Regenwäldern die Lebensgrundlagen von Menschen, ökologische Landnutzungsformen und tradiertes Heilwissen zerstört. Statt „wieviele Menschen“ fragen, wieviele Coladosen, Kühlschränke, Autos, Flugzeuge, AKWs trägt die Erde. Während Frau Mathews in ihrem Kommentar jedoch den Überkonsum, die Müll- und Treibgasproduktion und die unverantwortliche Ressourcenausbeutung der Minderheit der reichen Weltbevölkerung nur streift und der „Regulierung“ überlassen will, während sie glaubt, die internationalen Ausbeutungsverhältnisse von Menschen und Natur seien durch „neue Märkte und allgemeines Wirtschaftswachstum“ — also die Fortsetzung der alten Politik— aufzulösen, verortet sie die zentrale Überlebensfrage der Menschheit in den Gebärmüttern von Frauen des Südens. Dort bestehe „dringender Handlungsbedarf“, dort macht sie die „Grenzen“ der Tragfähigkeit fest, dort werden „Kontrolle“ und rigide Eingriffe gefordert.

Frauen aus dem Süden haben millionenfach leidvolle, brutale Erfahrungen mit dieser eingreifenden Kontrolle gemacht: Mit Zwangssterilisationen, mit gesundheitsschädlichen und nicht mehr selbst abzusetzenden Langzeit-Verhütungsmitteln wie Depotspritzen und Hormonimplantaten, als Versuchskaninchen für neue Verhütungsmittel, mit der Koppelung von Krediten, Nahrungsmitteln und Entwicklungsprojekten an Langzeit-Verhütung, die jeder „Freiwilligkeit“ Hohn sprechen. Wer die Forcierung von Bevölkerungsprogrammen fordert, muß wissen, daß dabei immer die Freiwilligkeit und Selbstbestimmung von Frauen auf der Strecke bleibt. Wo demographische Ziele der Bevölkerungsreduzierung zur Norm werden, führt dies, in Indien wie in Indonesien, in Botswana, Bangladesh oder Brasilien zu Massensterilisationen, zu Verhütungsmittelverbreitung mit Druck, ohne Aufklärung über „Neben“-Wirkungen und gesundheitliche Betreung.

Verhütung ist kein Umweltschutz!

Bevölkerungskontrollprogramme lösen nicht die Probleme, die ursächlich für Umweltzerstörung sind. Genausowenig läßt sich die Kinderfrage auf die Verteilung von Verhütungsmitteln reduzieren. (Oder meint jemand etwa ernsthaft, die Halbierung der Geburtenrate in der Ex-DDR und die sprunghafte Zunahme von weiblichen Sterilisationen läge daran, daß die DDR-Frauen früher keinen Zugang zu Verhütungsmitteln hatten?) Was Frauen —nicht nur in der Dritten Welt— brauchen, sind andere Lebensbedingungen, die ihnen eine Entscheidung über die Zahl ihrer Kinder überhaupt erst ermöglichen. Frauen brauchen ökonomische Eigenständigkeit, Landreformen, Erbrechte, Bildung, soziale Absicherung bei Krankheit und im Alter, gesellschaftliche Verantwortung für Kinder und eine radikale Arbeitsentlastung. Sie brauchen eine tiefgreifende Veränderung der Geschlechterhierarchie, der geschlechltichen Arbeitsteilung, der Gewaltverhältnisse und des patriarchalen Diktats, Kinder —vor allem Söhne— zu gebären. Mit ein bißchen „Frauenförderung“ —statt Forderungen an Männer— ist es beileibe nicht getan.

Und: Wer über Verhütung spricht, darf über Sexualität nicht schweigen. Hier sind Männer gefordert, Verantwortung für ihre Zeugungsfähigkeit zu übernehmen, statt Frauen damit alleine zu lassen oder durch Verhütungsmittel für stupide Penetrationsrituale verfügbar zu halten. Frauen brauchen —auch— sichere und gesundheitsunschädliche Verhütungsmittel; diese dürfen aber nicht von einer umfassenden Gesundheitsversorgung getrennt werden. Und Frauen brauchen Räume und Zeit, sich Kenntnisse über ihren Körper, Verhütung und Fortpflanzung anzueignen und sich mit anderen Frauen über Sexualität, Lebensformen und Männergewalt auseinanderzusetzen. Erst auf dieser Grundlage kann von „Selbstbestimmung“ überhaupt gesprochen werden.

Um mit einem Zitat von Bella Abzug zu schließen: Die Bevölkerungskontroll-Terminologie ist so überholt, wie die Dinosaurier und unakzeptabel für alle, die an demokratische Prozesse glauben. Ingrid Schneider, Hamburg

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