: FUNGIE, DER KOKAINSÜCHTIGE DELPHIN VON RALF SOTSCHECK
Freddie lebt. Diese gute Nachricht beherrschte in der vergangenen Woche die Schlagzeilen. Freddie ist „der freundlichste Delphin der Welt“ — so behauptet die englische Presse — und lebte seit Jahren in der Mündung des Flusses Wear im nordenglischen Sunderland. Sonntagsausflüge zur Pier gehörten zum festen Repertoire von Familien aus der weiteren Umgebung. Doch eines Tages war Freddie verschwunden. Gerüchte besagten, er habe sich wie ein ordinärer Hering in Fischernetzen verfangen und sei verstorben. Das war zum Glück jedoch eine Falschmeldung: Freddie hüpft wieder wie ein Jo-Jo im Wear herum. Die Befürchtungen, daß es sich um einen Betrüger handle, konnten Taucher zerstreuen. Sie untersuchten das „gesellige Raubtier“ (Bertelsmann- Volkslexikon) und entdeckten die charakteristischen Narben, die von einer Begegnung mit einem Außenbordmotor stammen.
Freddies irischer Kollege heißt Fungie und lebt in der Dingle-Bucht in Südwestirland. Auch er ist seit Jahren eine Touristenattraktion. Das zieht natürlich Neid auf sich, da der Tourismus im unterentwickelten Westen der Grünen Insel eine der Haupteinnahmequellen ist. So behaupteten böse Zungen aus der benachbarten Grafschaft Clare, Fungie komme nur deshalb nicht von der Dingle-Bucht los, die zur Grafschaft Kerry gehört, weil er kokainsüchtig sei. „Sein Verhalten unterscheidet sich völlig von dem sämtlicher Artgenossen auf unserem Planeten“, schrieb ein Kolumnist. „Vielleicht muß das arme Tier eine Entzugstherapie machen, bevor es sich noch mehr Schaden zufügt.“ In Kerry werden in regelmäßigen Abständen Koks-Päckchen angespült.
Die Behauptung, Fungie sei ein Junkie, wollten die Bewohner Kerrys nicht auf ihrem Fremdenverkehrs-Magneten sitzen lassen. So publizierten sie ihre eigene Theorie: Fungie traue sich nicht aus der Dingle-Bucht heraus, weil der Atlantik vor der Küste Clares aufgrund von leckgeschlagenen Tankschiffen völlig ölverseucht sei. Die Grafschaftsverwaltung von Clare hat bereits 50 Tonnen Öl an den Stränden eingesammelt. Die Aktion mußte jedoch eingestellt werden, weil die Verwaltung pleite ist und die Dubliner Regierung kein Geld beisteuern will.
Vermutlich sind jedoch beide Theorien falsch. Fungies Verharren in der Dingle-Bucht könnte mit dem Besuch des schwedischen Königspaares in Kerry zusammenhängen. Die königliche Visite löste im vergangenen Monat eine Polizeiaktion aus, die Kerry noch nie zuvor erlebt hatte. Uniformierte Beamte hatten sich in Berg und Tal, auf Wiesen und Äckern postiert, damit Karl-Gustaf und Sylvia bei ihrem Aufenthalt auch nichts passierte. Freilich hatte die massive Präsenz der Ordnungshüter einen Nebeneffekt. Kerry ist seit Jahrhunderten bekannt für Poitin, jenen farblosen Whiskey, der meist aus Kartoffeln gebrannt wird. Die Brennerei konnte auch durch ein gesetzliches Verbot aus dem Jahr 1760 nicht unterbunden werden. Fortan wurde der schwarzgebrannte Whiskey in allen erdenklichen Behältern versteckt — von kleinen Torfkarren bis hin zu Särgen bei falschen Beerdigungen. Die abgelegene und hügelreiche Grafschaft Kerry eignet sich besonders gut für diese illegale Industrie. Als jedoch die Uniformierten auftauchten, wurden viele Schwarzbrenner nervös und kippten ihr hochwertiges und -prozentiges Produkt in die Bergflüsse, die in die Dingle- Bucht münden. Kein Wunder, daß Fungie sich dort festgesetzt hat.
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