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Artificial Asylantenheim

■ Scheiß auf die Smart Art: Der Aktionskünstler Mike Kelley in der Basler Kunsthalle

In seinem Performance-Video The Banana Man legt sich Mike Kelley bäuchlings auf einen Haufen von Plastikpuppen, die unter dem Zucken seines Körpers aufquietschen. Bei der Aktion Nostalgic Depiction of the Innocence of Childhood reitet eine nackte Frau auf einem riesigen Plüschhasen, und druckt ein verdreckter Nackter seinen Arsch Yves-Klein-mäßig auf einem Tuch ab. Mit beschmierten Socken spielt Kelley als Handpuppen- Theater Guernica nach oder läßt abgenutzte Stofftiere als Knäuel von der Decke baumeln: Scheiß auf die Smart Art.

Die kürzlich ausgebrochene Mike-Kelley-Hype ist wohl auch als antizyklische Reaktion auf das um sich greifende Kunst-Schöne zu verstehen: gestern der Edelstahl-Hase auf Sockel von Jeff Koons, heute angesabberte Plüschschlangen auf Resopaltischen. So zumindest wird Kelley vom Kunstmarkt strategisch eingesetzt. Das besagt zwar noch nicht viel über die eigentliche Stringenz und Beweglichkeit seiner Arbeit; andererseits wundert man sich, wenn für die erste Gesamtschau des 38jährigen „Aktionskünstlers“ viel Zeit draufging für das „Auffinden von Einzelstücken und Rekonstruieren von Installationen“ (Katalogvorwort).

Bisher war Kelleys Vorgehen vor allem happeninghaft und situationsspezifisch motiviert. Die gestalteten Räume wurden speziell für Aktionen präpariert, wobei er etwa mit Underground-Bands wie Sonic Youth oder fIREHOSE auftrat. Obgleich er wie Jenny Holzer, Richard Prince oder David Salle der smarten California- Art-Institute-Talentschmiede entspringt, knüpft Mike Kelley lieber an die schmutzige Tradition der europäischen Aktionskunst an (1979 begleitete er in einem „Lärmorchester“ Hermann Nitschs Orgien Mysterien Theater), die Happenings von Allan Kaprow oder Jack Smiths Schmuddelsex-Filme. Dem Streichquartett bei Yves Kleins Body Art zieht Kelley den Post-Punk-Rausch der E-Gitarren vor und „verwandelt nach und nach die gesamte Bühnenfläche in ein chaotisches Trümmerfeld“, so ein amerikanischer Rezensent.

Kelleys Trash-Arbeiten mit billigem, gebrauchtem, angeschmuddeltem, hippiehaftem Material zielen gegen die dekorative Oberfläche und Werbeästhetik der Kunst der Achtziger: „Wann immer ich solche Riesenfotoarbeiten sehe, die von irgendeinem dieser zahllosen Künstler der Car-Arts-Tradition stammen, komme ich am wirtschaftlichen Faktor nicht vorbei. Ich kann dabei immer nur an das Geld denken.“ Im letzten Raum der Basler Kusthalle hat Kelley über ein Dutzend Klapptische mit dunkelbrauner Holzimitat- Platte aufgestellt, als wär's das neue Asylantenheim. Darauf liegen in einer Mischung aus Flohmarkt und Leichenschauhaus über hundert ausgestopfte Spielzeug-Tiere, welche er für einen Spottpreis in Kramläden gekauft oder direkt vom Müll gesammelt hat. Drumherum hängen wie in einer Ahnengalerie aus Toten und Verbrechern die einzeln und schwarzweiß abgelichteten Textilien an der Wand, wobei neben jedem der zumeist massenproduzierten und formreduzierten Strickaffen, Stoffhunde oder Filzfrösche zum Vergleich ein Maßband liegt. „Für die Eltern stellt die Puppe ein perfektes Abbild des Kindes dar — das ist sauber, sie ist knuddelig, sie ist geschlechtslos —, doch sobald der Gegenstand abgenutzt ist, ist er in seiner Funktion gestört. Er nimmt nach und nach die Eigenschaften des Kindes selbst an — er riecht wie das Kind, wird schäbig und schmutzig, wie das richtige Dinge zu tun pflegen. Dann wird es dem Kind weggenommen und weggeworfen.“

Ein Kelley-Video beschreibt Wolkenkratzer als „beyond tactility“. Kelley zielt mit dem — angedeuteten, da underground-comichaft gezeichneten — Gestank von Müll und Scheiße gegen eine Welt naturidentischer Aromastoffe. Der um sich greifenden Ästhetisierung der Lebenswelt hält er die intime Realität aus Dreck und Körperflüssigkeiten entgegen. Eine künstliche Regression, der Zerstörungswille und audiovisuelle Lärm sucht handgemachte Unmittelbarkeit in einer ansonsten medial separierten Welt der Geschmacksklassen und Randgruppen. Als „Riesendurcheinander“ bezeichnet ein 'Artweek‘-Kritiker Kelleys Aktionen, erkennt dabei aber eine „fast kindergartenartige Bewunderung für Gegenstände“: Ein Anti-Magic-Kingdom.

Kelley paart die neoprimitivistische Sehnsucht nach Körperlichkeit und Tastsinn mit bodenständigem Klassenbewußtsein — auf einem Poster prangt programmatisch in Acrylschrift „Lumpenprole Rules“. Auf Kopien alter Stiche krakelt er Scheißhaufen, Fotzen, Schwänze, sexistische Bemerkungen, Achselnässe. Die Reconstructed History bezeichnete, insgesamt 50teilige Serie korrigiert umgangssprachlich ein heroisches Geschichtsbild mittels künstlicher Graffiti und bewußter Telefonkritzelei. In einem langen Gang findet man in monochromen Modefarben auf große Bahnen gepinselt die Bilder von Geistesgrößen, die jeweils mit einem gewaltverherrlichenden Zitat versehen sind. Die Gasse wird abgeschlossen von einem in Kupfer getriebenen, eine vierspännige Kutsche samt Kuh im Hohlweg darstellenden Relief, das ein Mörder im Gefängnis angefertigt hat. Am Ausgang stehen zwei Sammelbehälter, die zur Spende für Gewaltopfer aufrufen: Pay for Your Pleasure heißt die Arbeit, welche schon einmal bei Metropolis in Berlin zu sehen war. Jochen Becker

Mike Kelley in der Kunsthalle Basel, bis zum 24.Mai. Ein Katalog und die neueste Ausgabe der Kelley gewidmeten Zeitschrift 'Parkett‘ begleiten die im Juni nach London wandernde Ausstellung.

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